Unständehalber: Kannibalismus

Gänsehautträchtig zieht „Der Fall der Götter“ am Oldenburgischen Staatstheater historische Parallelen

Oldenburg wird politisch. Jedenfalls am Staatstheater. Da hat Ulrich Greb mit „Der Fall der Götter“ eine Bearbeitung des Films „Die Verdammten“ von 1968 inszeniert. Luchino Visconti erzählt darin die Geschichte der Verstrickung des Hauses Krupp mit dem Hitler-Apparat. Der Krieg brauchte Stahl. Und Stahl brachte Profite. Greb modernisiert sein Szenario und spielt so auf die derzeitige Vorkriegssituation an – auf die Verquickung der Bush-Administration mit dem Ölgeschäft.

Im Hause des Stahlbarons Joachim von Essenbeck hat sich die Familie versammelt, um den Geburtstag ihres Oberhauptes vorzubereiten. Zeitgleich wird der Reichstag angezündet – so gelesen, der 11. September der Nazis. Ein Fanal, das die Machtkämpfe in der Familie anfacht. Die Gier von Tochter Sophie scheint der Motor zu sein. Angestachelt vom Nazi Aschenbach ermordet ihr Geliebter, Friedrich, den Stahlbaron. Trotz scheinbar gewonnener Macht führen die politischen Verstrickungen zu Demütigungen. Die Situation spitzt sich zum Psychotischen zu. Schließlich wird Sophie von ihrem eigenen Sohn Martin vergewaltigt, und in den Selbstmord mit ihrem Geliebten getrieben. Martin und Essenbecks Sohn Günther übernehmen den Konzern.

Regisseur Ulrich Greb vereinfacht den komplexen Inhalt nicht, im Gegenteil: Er lässt die SchauspielerInnen ohne Abgang von einer Figur in die andere schlüpfen. So gleitet Henning Kober vom selbstgefälligen Joachim zum lüsternen Friedrich in den schizoiden Martin über. Damit vermittelt er eine Kernaussage des Stückes: „Es hängt von den Umständen ab“, bemerkt Günther einmal, „ob sich ein Mensch dem Kannibalismus oder der Kritik der reinen Vernunft zuwendet.“ Eindeutiger Sieger: das gegenseitige Abschlachten.

Martin spielt mit einer riesigen Modelleisenbahn. Die trudelt durch eine Modelllandschaft aus Fabrikhallen mit rauchenden Schornsteinen. Eine Kamera in der Lok beamt das Bild auf die Leinwand im Bühnenraum: Industrielandschaft und Auschwitz zugleich. Nicola Lembach rennt als wieselnder Conferencier herum, fummelt an der Kamera, inszeniert das Medienbild schleimender Machthyänen, um flugs in andere Rollenzustände zu schlüpfen.

Das ist schauspielerisch glänzend, provoziert aber auch Lacher, die von der schleichenden Beklemmung ablenken. Die wird allerdings sehr sensibel und eindringlich orchestriert von den lautmalerischen Kompositionen von Sebastian Venus und Michael Schneider. Die Musiker im Bretterverhau – Anspielung auf die KZ-Existenz von Künstlern – verdichten das schleichende Grauen. Gänsehautträchtig. Marijke Gerwin

nächste Aufführungen: 20. und 28. Februar, 2., 5., 12. März, jeweils 20 Uhr