Kein Öl, kein Wasser, kein Essen

UN-Organisationen und Hilfswerke in Bagdad befürchten katastrophale Zustände im Fall eines Angriffs

BAGDAD/SADDAM CITY taz ■ „Kein Öl – nichts zu essen“. Die Rechnung für die humanitäre Katastrophe im Falle eines Irakkriegs ist relativ einfach, und sie wird nicht nur von Veronique Taveau aufgestellt, der Sprecherin des UN-Koordinators für humanitäre Aufgaben in Bagdad. Mehr als 60 Prozent aller irakischen Haushalte hängen nach zwölf Jahren UN-Embargo vollständig von den Nahrungsmittelrationen ab, die der Staat für seine Öllieferungen im Rahmen des UN-kontrollierten „Öl für Nahrungsmittel“-Programmes einkauft. Nicht nur würde im Kriegsfall kein Öl mehr gepumpt, die staatliche Verteilungskette für diese Nahrungsmittel wird aller Voraussicht nach zusammenbrechen. An den heutigen 45.000 Verteilerstellen überall im Land dürfte dann nur noch gähnenende Leere herrschen.

Saddam City im Norden der irakischen Hauptstadt ist einer jener Orte, die der Zahl der 60 Prozent Habenichtse ein Gesicht geben. Fast zwei Millionen Menschen, meist Schiiten, leben entlang der in Abwasser versinkenden Straßenzüge in ihren ärmlichen Behausungen. Es ist ein düsterer Ort, in dem das leuchtende Orange der Mandarinen und Orangen auf dem lokalen Markt wie ein glitzernder Fremdkörper wirkt. Genauso wie das einzige neu gestrichene Gebäude, die lokale Zentrale der regierenden Baath-Partei, der einzige Ort auch, an dem sich in weitem Umkreis ein Porträt Saddam Husseins findet. „Die Menschen hier haben keinerlei Reserven, um sich auf den Krieg vorzubereiten“, erzählt der Deutsche Alexander Christoff, der in Bagdad die Hilfsorganisation „Architekten für Menschen in Not“ leitet. Die irakischen Behörden haben bereits angekündigt, im Kriegsfall eine Ausgangssperre über die ganze Stadt zu verhängen. Es wird erwartet, dass die Fünf-Millionen-Stadt dann von der Außenwelt hermetisch abgeriegelt wird, schließlich hat die irakische Regierung den Amerikanern bereits ein „Stalingrad in Bagdad“ versprochen. Für Christoff gibt es nur zwei Szenarien: Entweder die staatlichen Institutionen bleiben auch im Krieg weiter effektiv, und das heißt, dass das Regime mit Hilfe der bewaffneten Mitglieder der Regierungspartei eine Ausgangssperre durchsetzen wird, oder die Ordnung bricht zusammen, und das bedeutet aller Wahrscheinlichkeit nach bürgerkriegsähnliche Zustände in den Straßen von Bagdad. In jedem Falle werden die meisten Menschen sich nicht von ihren Häusern wegbewegen können.

„In diesem Krieg wird es kein Flüchtlingselend wie in Bosnien geben. Statt dessen werden die Menschen festsitzen, ohne die Möglichkeit, rasch versorgt zu werden“, glaubt Christoff. Er sieht, neben der Versorgung mit Nahrungsmitteln, vor allem drei verheerende Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung. Auch wenn die Bomben der Amerikaner seit dem letzten Golfkrieg präziser geworden seien: In Bagdad liegen die sensiblen militärischen Einrichtungen oft mitten in zivilen Wohngebieten. Christoff deutet nach draußen, „eine dieser Einrichtungen befindet sich 100 Meter neben meinem Haus, eine andere 200 Meter dahinter“.

Außerdem wird die US-Luftwaffe sofort auf die Elektrizitätsversorgung zielen, um die Kommunikation des irakischen Militärs zu unterbrechen. „In der gleichen Sekunde kommt kein Tropfen Wasser mehr aus dem Hahn, da die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung vom Strom abhängig ist“, erklärt Christoff. Manche Häuser in Bagdad haben Wassertanks auf dem Dach. In Saddam City kann sich das niemand leisten. Und auch die medizinische Versorgung, die nach zwölf Jahren Embargo ohnehin nur noch gerade einmal mit 10 Prozent ihrer ursprünglichen Kapazität läuft, wird schnell kollabieren. Die meisten Krankenhäuser können unter normalen Umständen bis zu zwei Wochen autark arbeiten, vorausgesetzt, sie sind nicht mit einer großen Zahl Kriegsverletzter konfrontiert. Christoff versucht nun zusammen mit anderen kleineren Nichtregierungsorganisationen, Netzwerke mit irakischen Ärzten und Ingenieuren aufzubauen, um wenigstens auch bei einer Abriegelung Bagdads ein paar grundsätzliche Dienstleistungen aufrechterhalten zu können.

Die meisten UN-Organisationen haben ihre Arbeit zur Vorbereitung des Krieges auf die Nachbarländer konzentriert, wo sie Auffanglager für Flüchtlinge und Depots für Nahrungsmittel und Medikamente angelegt haben. Im Irak selbst ist nicht allzu viel gelagert, aus Angst vor Plünderungen. Nach Schätzungen der UN werden 900.000 Flüchtlinge an den Grenzen erwartet, weitere zwei Millionen werden sich nach dieser Einschätzung innerhalb des Landes auf der Flucht befinden. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat am Freitag eine spezielle Task Force ins Leben gerufen, um die Arbeit der UN-Organisationen zu koordinieren und voranzutreiben.

Ganz wohl ist vielen der UN-Mitarbeiter und Hilforganisationen dabei nicht. Nago Humbert, der Präsident der französischen Hilfsorganisation Médecins sans Frontières (MSF) fasst dieses ungute Gefühl in die schärfsten Worte. Die UN seien lediglich noch für die Nachbehandlung dessen zuständig, was die US-Armee angerichtet hat. „Du bombardierst, und dann hast du kein schlechtes Gewissen, weil wir den Schaden beheben und mit dem Geld anderer Leute reparieren“, sagt Humbert und fragt: „Ist das die Rolle der UN und der Hilfsorganisationen?“.