Schikanen gegen Nicaraguas Zivilgesellschaft

In Nicaragua lässt der sandinistische Präsident Daniel Ortega Polizei und Staatsanwaltschaft gegen unliebsame Kritiker vorgehen – darunter Carlos Fernando Chamorro, den früheren Chef der sandinistischen Parteizeitung „Barricada“

WIEN taz ■ In Nicaragua werden die Freiräume für kritische Presse und Zivilgesellschaft immer enger. Derzeit sehen sich die unabhängige Frauenbewegung Movimiento Autónomo de Mujeres (MAM), das Forschungsinstitut Cinco und andere Nichtregierungsorganisationen, die auch mit europäischen Geldern gefördert werden, mit Rufmordkampagnen und gerichtlichen Schikanen verfolgt. Carlos Fernando Chamorro, Chef des Cinco, verortet die Verantwortlichen „in höchsten Regierungskreisen“ und meint damit Präsident Daniel Ortega und dessen mächtige Frau Rosario Murillo.

Der Sitz des Cinco in Managua, wo noch fünf weitere Organisationen ihre Büros haben, wurde am 10. Oktober von der Polizei aufgebrochen. Beamte der Staatsanwaltschaft schleppten Computer und mehrere Kartons mit Dokumenten davon. Der Zugang zum Gebäude wurde mit einem Plastikband mit dem Aufdruck „Tatort“ abgesperrt. Was man in den Buchhaltungsunterlagen entdecken will, ist nebulös. „Irreguläre und ungewöhnliche Operationen“, heißt es im Durchsuchungsbefehl. Schon seit Wochen trommeln die von der Regierungsspitze kontrollierten Medien wegen angeblicher Geldwäsche „im Dienste des Imperialismus“ gegen Cinco. Juristisch konnte dieser Vorwurf aber nicht untermauert werden, denn Ursprung und Bestimmung der Gelder, um die es geht, sind völlig transparent. Cinco hat sich vertraglich verpflichtet, Gelder an die autonome Frauenbewegung MAM weiterzuleiten, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. MAM bekommt ein Projekt gefördert, das die Rolle der Frau in der Öffentlichkeit stärken soll.

Die Frauenorganisationen stehen schon längere Zeit unter Beschuss, weil sie sich für die Aufhebung des vor zwei Jahren vom Parlament beschlossenen totalen Abtreibungsverbots einsetzen. Zahlreiche Frauen, die nach heimlichen Abtreibungen oder auch nur Komplikationen vor der Geburt eingeliefert wurden, sind verblutet, weil die von hohen Strafen bedrohten Mediziner sie nicht behandeln wollten.

Alle, die sich zumindest für die Wiederherstellung der vorigen Rechtslage mit medizinischer Indikation einsetzen, werden von First Lady Rosario Murillo und ihren Handlangern als Kindsmörder beschimpft. In Zusammenhang mit der Finanzierung des Demokratieprojekts der Frauenbewegung trommelten die von Murillo kontrollierten Medien gegen die „satanischen Gelder“.

Carlos Fernando Chamorro, Sohn des einst von Diktator Anastasio Somoza ermordeten Verlegers Pedro Joaquín Chamorro und der späteren Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro fiel schon vor rund 15 Jahren bei Ortega in Ungnade, als er aus der sandinistischen Parteizeitung Barricada ein pluralistisches Medium machen wollte. In seinem wöchentlichen TV-Magazin prangert er jetzt immer wieder Korruption und Machtmissbrauch an: unter den Rechtsregierungen genauso wie unter dem seit bald zwei Jahren regierenden ehemaligen Revolutionskommandanten Ortega. Ein letztes Jahr aufgedeckter Korruptionsskandal, dessen Spuren ins sandinistische Parteisekretariat und den Präsidentenpalast führten, endete damit, dass der Hauptzeuge wegen Verleumdung verurteilt wurde. Untersucht wurde nichts, stattdessen wurde Chamorro Ziel einer Rufmordkampagne.

„Schlimmer als unter Somoza“, titelte eine Zeitung nach der Razzia am Sitz der Organisationen. In einem Manifest protestierten die bekanntesten Künstler und Intellektuellen gegen die staatliche Willkür, darunter der Dichter Ernesto Cardenal, der Schriftsteller und ehemalige Vizepräsident Sergio Ramírez und die Autorin Gioconda Belli.

RALF LEONHARD