Neunziger Jahre, sonst nichts

Sie will sich nicht mehr als Touristin durchs eigene Leben bewegen: Jana Hensel, jetzt zu Gast im Literaturhaus, sucht in „Zonenkinder“ nach ihrer Kindheit in der DDR und kommt doch immer nur in der Heimatlosigkeit an

Seit Herbst auf dem Markt, ist das Buch in aller Munde: Mit Zonenkinder hat Jana Hensel dem Rowohlt-Verlag einen Bestseller geliefert. Denn Retro ist derzeit in, ein Ende noch lange nicht in Sicht. Manche sehen in dem essayistischen Werk die ostdeutsche Antwort auf Florian Illies Generation Golf. Andere wiederum lassen diesen Vergleich und finden die von Hensel heraufbeschworenen Erinnerungen an eine Kindheit in der DDR mal larmoyant, dann wieder wahr und wichtig.

Jana Hensel, Jahrgang 1976, befindet sich gerade auf dem Scheitelpunkt ihres DDR- und gesamtdeutschen Lebens: Mit 13 und dem Mauerfall war ihre Kindheit zu Ende, der Rest ist wiedervereinigter, westdeutscher Standard. Die Jahre der Zeit, in der ohnehin noch kein allzu großer Verlass aufs Gedächtnis ist, werden von nun an immer weniger werden. Und immer mehr vermengt sich das Erinnerte mit später erzählten Geschichten – womöglich noch vom westdeutschen Fernsehen.

Höchste Zeit also, sich auf die Suche nach der Heimat zu begeben. Hensel kommt in den acht Essays in Zonenkinder jedoch immer nur in der Heimatlosigkeit an: „Überall neunziger Jahre. Ein anderes Jahrzehnt schien es auf dem Boden der DDR nie gegeben zu haben.“ Sicher lässt sich Zonenkinder wie eine einzige, 170 Seiten lange Anklage lesen, in der die Autorin um die Anerkennung einer Vergangenheit kämpft, die längst restlos verschluckt worden ist. Dabei sind die Geschichten über Eltern, Schule und Sport aber so ambivalent, wie es irgend geht. Entsprechend changiert auch Hensels Tonfall zwischen Aggression, Stolz und Verletzbarkeit.

„Wir zwittrigen Ostwestkinder“ - das sind die, die gleichzeitig unglücklich mit ihrer selbst gewählten Assimilation sind und ihre Eltern für ihr DDR-Vollblut ablehnen. Wo der Westler noch euphorisch von Authentizität spricht, hasst Hensel es längst, sich „wie ein Tourist im eigenen Leben zu bewegen“.

Man kann es finden, wie man will: Deutlich wird jedenfalls, dass Hensels Generation – so ihre Beobachtungen denn überhaupt generalisierbar sind – eine wohl immer hin- und hergerissene ist. Nicht zuletzt durch das autoritäre „Wir“ geht Hensel auf Konfrontation mit dem Leser. Was ja nicht verkehrt ist.

Gelegenheit zum Streiten über Sinn und Unsinn nostalgischer Verlustgefühle im deutschsprachigen Raum gibt es jetzt live, wenn die Autorin im Literaturhaus zu Gast ist.

Liv Heidbüchel

Jana Hensel: Zonenkinder, Rowohlt 2002, 172 S., 14,90 Euro; Lesung: Mittwoch, 19. Februar, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38