Eine Verteidigerin gemeinsamer Werte

In der Anti-Irak-Front sieht die lettische Außenministerin Sandra Kalniete ihr Land fest an der Seite der USA

Beim „Aufruf der Acht“ für Washingtons Linie hatte niemand Lettland gefragt. Außenministerin Sandra Kalniete hätte ihn sonst gerne unterschrieben. So sammelte sie zehn Nato-Anwärterstaaten für eine eigene Unterstützungserklärung, welche in der letzten Woche gleich nach Powells UN-Rede veröffentlicht wurde. „Wir haben gemeinsame Werte zu verteidigen“, begründete sie das. Und es sei im Interesse Lettlands, an der Seite der USA zu stehen, die „der größte Unterstützer Lettlands“ seien.

Die Familiengeschichte der Außenministerin mag eine Rolle spielen bei solcherart Stellungnahmen, mit denen sie Parlament wie Regierung überfuhr. Togur, Kolpaschewo-Region, Distrikt Tomsk, steht als Geburtsort auf ihrer Geburtsurkunde. In einem Arbeitslager in Sibirien war sie zur Welt gekommen. Am 22. Dezember waren es 50 Jahre her. Dorthin war ihre Mutter deportiert worden. Als 14-Jährige mit ihren Eltern. Angebliche Landesverräter waren sie geworden, nachdem Stalin die baltischen Republiken in sein Sowjetreich eingegliedert hatte.

Ihre Großeltern sind dort in Sibirien gestorben, ihr Vater wurde erschossen. Nur ihre Mutter kehrte nach 16 Jahren Arbeitslager nach Lettland zurück. Mit ihrer fünfjährigen Tochter: „Und dort werde ich Außenministerin. Klingt das nicht wie eine Seifenoper?“ Ein gutes Verhältnis zu den USA ist ihre wichtigste außenpolitische Richtlatte. Mit der Supermacht im Rücken verbesserten sich die Beziehungen zum russischen Nachbarn: „Es ist schon viel besser geworden in den letzten Jahren.“

Die Selbstständigkeit Lettlands werde von Moskau nicht mehr in Frage gestellt. Verschwunden sei alles Gerede von der „natürlichen Einflusszone“. So richtig klar war Sandra Kalniete dies beim Nato-Gipfel in Prag geworden: „An diesem Abend, als die neuen Mitgliedsländer akzeptiert worden waren, da kam es plötzlich: Ja, es ist wirklich wahr.“

Dass der Weg für Lettland und die anderen baltischen Staaten nicht nur in die Nato, sondern auch in die EU so eben wurde, dazu hatte Kalniete selbst ihr Teil beigetragen. Aus guten Gründen war gerade diese charmante und eloquente Frau, die nicht nur eine der GründerInnen der Unabhängigkeitsbewegung „Volksfront“ war, sondern auch Kunstkritikerin und Literatin ist, von ihrer Regierung 1997 als Botschafterin nach Paris geschickt worden. In Frankreich war einer der massivsten Widerstände gegen einen EU-Beitritt der baltischen Staaten zu brechen.

Sie wäre gerne in Paris geblieben. Aber als die erste Wahl von Premier Einars Repse für den Außenministerposten, Grigorijs Krupnikovs, Chef der jüdischen Gemeinde, über ungeklärte Vorwürfe früherer KGB-Agententätigkeit stolperte, wollte sie nicht ablehnen. Die vier Koalitionäre hatten es schwer, sich über die Besetzung zu einigen. Kalniete hat den Vorteil, parteilos zu sein. „Doch lange will ich nicht amtieren.“ Jedenfalls aber, bis das nächste Ziel erreicht sei: eine Mehrheit der LettInnen von der EU zu überzeugen. Vor einigen Monaten wollten nur 35 Prozent eine EU-Mitgliedschaft. Langsam klettert die Zustimmungsrate wieder. Mit dem Einreihen in die Anti-Irak-Front könnte nun ausgerechnet Sandra Kalniete diesen Trend brechen. „Die Letten sind verständige Leute“, sagt sie. Aber mit einer 81-Prozent-Mehrheit wollen sie keinen Irakkrieg.

REINHARD WOLFF