Gefangen im „Perle-Paradox“

Die Provokationen aus Washington nehmen bizarre Formen an. Doch für ganz so irrelevant, wie sie es fast täglich betont, scheint die US-Regierung ein Nein der Bundesregierung offenbar nicht zu halten

Wenn Deutschland wirklichirrelevant ist, warum ärgertRichard Perle sich so über das deutsche Nein zum Krieg?

BERLIN taz ■ Spielt die deutsche Reaktion auf Colin Powell irgendeine Rolle? Nein!, ruft Guido Westerwelle, der gestern erklärte, die Bundesregierung habe sich durch ihr Nein zum Irakkrieg „selbst zum Statisten der Weltpolitik degradiert“. Nein!, ruft auch Wolfgang Schäuble, „so ist man nicht kooperationsfähig, so isoliert man sich, so zerstört man die europäische Partnerschaftsfähigkeit, so schadet man den europäisch-amerikanischen Beziehungen, und so schwächt man die UN“. Nein!, ruft Donald Rumsfeld, der Deutschland gestern für seine Untätigkeit in eine Reihe mit Libyen und Kuba stellte.

Geht man ernsthaft der Frage nach, welchen Einfluss diese Bundesregierung noch hat auf den Verlauf der internationalen Irakdebatte, stößt man auf ein Rätsel. Man könnte es auch bezeichnen als „das Perle-Problem der politischen Theorie“. Richard Perle ist seit den Tagen von US-Präsident Ronald Reagan einer der Falken im defense establishment von Washington, unter dem jetzigen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ist er Vorsitzender eines einflussreichen Gremiums von Pentagonberatern. Der Bundesregierung erklärte er letzte Woche in einem Interview unverblümt: „Deutschland ist irrelevant geworden.“ Kanzler Gerhard Schröder habe „eine so extreme Haltung eingenommen, dass er damit Deutschland und sich selbst aus der Debatte ausgeschlossen hat“. Das Rätsel, das sich freilich stellt, lautet: warum all die Aufregung um Deutschland, national wie international, wenn das deutsche Nein zum Krieg so unerheblich ist? Ein maßgeblicher deutscher Diplomat brachte das Perle-Paradox dieser Tage auf die Formel: „Wer so oft irrelevant sagt, der zeigt doch, dass Deutschland so irrelevant nicht sein kann.“

Auch die Berliner Kabinettsmitglieder erleben inzwischen fast täglich, welche Provokation ihr Nein für die amerikanischen Partner darstellt. Rumsfelds Libyenvergleich von gestern setzt da nur die Reihe der Anwürfe fort. Entsprechend zahm gaben sich Schröder und sein Außenminister im Nachgang zu Powells UNO-Auftritt und vor dem nächsten Nato-Familientreffen auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende. Regierungssprecher Bela Anda lobte, „durch den Auftritt von Außenminister Powell haben die USA die Rolle des Sicherheitsrats für die Konfliktlösung anerkannt und gestärkt“. Aus der Grünenfraktion meldeten sich die Vorsitzende Katrin Göring-Eckardt und der außenpolitische Sprecher Ludger Volmer mit der Beteuerung: „Wir nehmen die Hinweise von Colin Powell sehr ernst.“ In der Sache blieben Grüne wie Sozialdemokraten freilich hart: Powells Beweise reichten nicht aus, die friedliche Abrüstung des Irak sei der einzige Weg.

Selbst ein pragmatischer Deal zwischen Pentagon und Bundesregierung zerschlug sich gestern vorerst: Beim Nato-Rat in Brüssel drängen die USA bereits seit Wochen auf militärischen Schutz für die Türkei, von wo aus der Angriff auf den Irak beginnen soll. Deutschland soll „Patriot“-Raketen samt Besatzung entsenden, doch seit Wochen verzögern die Deutschen, Franzosen und Belgier die Entscheidung aus Unmut über die Kriegsvorbereitungen. Gestern wiederholte sich das Spiel – der Nato-Rat vertagte sich auf nächste Woche. PATRIK SCHWARZ