„Denke nur an die Tour“

Gespräch mit dem Radprofi Lance Armstrong (31) über sein mittelfristiges Karriereende, Antiamerikanismus, Jan Ullrich und das Bestreben, zum fünften Mal die Tour de France zu gewinnen

Interview SEBASTIAN MOLL

taz: Mister Armstrong, Sie haben in der Vergangenheit mit europäischen Fans und europäischen Medien manchmal große Probleme gehabt. Glauben Sie, dass es in diesem Jahr noch schwieriger wird?

Lance Armstrong: Die Leute, mit denen ich Probleme habe, sind eine kleine Gruppe. Die Fans, die mich ausgebuht haben, waren ein paar Betrunkene, und die Journalisten, die mir Doping unterstellen, sind immer wieder die gleichen. Was die antiamerikanische Stimmung angeht, wird es sicherlich anders in diesem Jahr. Die Amerikaner haben sich in der Welt in letzter Zeit nicht gerade beliebt gemacht. Was der Präsident und das Militär machen, unterliegt nicht meiner Kontrolle, aber Rennen während eines Krieges zu fahren, der eine Milliarde Moslems provoziert, würde mich etwas beunruhigen. Ich würde aber nicht zulassen, dass das meiner Leidenschaft, dem Radrennen, in die Quere kommt.

Was haben Sie in diesem Jahr für Ziele, außer die Tour de France zu gewinnen?

Ich werde das gleiche Programm fahren wie im vergangenen Jahr, angefangen mit der Murcia-Rundfahrt im Februar zu den Frühjahrsklassikern und der Dauphiné Libéré im Juni. Wenn ich beispielsweise beim Amstel Gold Race in einer Spitzengruppe bin, werde ich natürlich auch versuchen zu gewinnen. Aber zu diesem Zeitpunkt denke ich nur an die Tour.

Wie haben Sie den Winter verbracht?

Kristin war diesmal nicht schwanger, also konnten wir ein wenig reisen, nach Mexiko und Hawaii, weg von der „wirklichen Welt“, wie meine Frau es gern ausdrückt. Im Dezember habe ich angefangen zu trainieren. Und ich habe mich tierisch auf das erste Trainingslager mit meinen Jungs hier in Kalifornien gefreut.

Ihre Mannschaft ist in diesem Jahr erstmals weitgehend unverändert.

Es ist gut, im Januar ins erste Trainingslager zu kommen und alle Gesichter zu kennen. Außerdem kann man so schon sehr frühzeitig für die Tour de France planen. Und unser Team von 2002 war so stark, dass es gar keinen Grund gab, jemanden zu holen. Wenn ich mich erinnere, wie wir 1999 die erste Tour gewonnen haben, da hatten wir gerade sechs Leute, von denen wir überhaupt wussten, dass sie die Tour durchstehen. Jetzt haben wir mindestens 14 Topleute, aus denen wir auswählen können.

Sie und Ihre Mannschaft haben die vergangene Tour de France dominiert wie selten eine Mannschaft zuvor. Was tun Sie, um Ihre Leute zu motivieren?

Jeder, der in meiner Mannschaft zur Tour kommt, weiß, was das Ziel ist. Und wenn man neun Jungs hat, die nicht Zweiter werden wollen, hat man eine motivierte Mannschaft. Viele leben außerdem mit mir in Spanien, sie sehen mich jeden Tag und vielleicht überträgt sich etwas von meiner Leidenschaft auf sie.

Sie haben in der ersten Woche der vergangenen Tour ein wenig gewackelt, haben das Zeitfahren verloren. Ehrlich, hatten Sie Zweifel?

Ich habe mich lausig gefühlt nach dem ersten Zeitfahren, und nach der ersten Bergetappe habe ich mich noch lausiger gefühlt. Erst als ich die Etappe nach Plateau de Beille gewonnen hatte …

als Sie in den Pyrenäen mit dem zweiten Tagessieg in Folge einen Vorsprung von zweieinhalb Minuten herausgefahren hatten …

… ja, da war ich mir sicher.

Wie ist Ihnen dabei zumute, wenn Sie daran denken, dass Sie sich vielleicht nach der diesjährigen Tour mit fünf Siegen in der Gesellschaft von Eddy Merckx, Miguel Induráin, Bernard Hinault und Jacques Anquetil befinden?

Der Gedanke jagt mir Angst ein. Ich rede oft mit Eddy, aber meistens frage ich ihn um Rat. Es ist schwer, mich innerlich mit ihm auf eine Stufe zu stellen.

Wer kann Sie denn in diesem Jahr gefährden?

Die üblichen Verdächtigen, Beloki, Galdeano, Ullrich. Großen Respekt habe ich auch vor der neuen Telekom-Mannschaft mit Botero, Savoldelli und Evans.

Sie haben gesagt, Jan Ullrich würde einen Fehler machen, wenn er zum Team Coast geht anstatt nach Dänemark zur Mannschaft von Bjarne Riis, seinem ehemaligen Teamkollegen.

Ich habe Ullrich nicht kritisiert, er ist ein großer Radfahrer, ich würde mir das nicht anmaßen. Ich weiß nur, wie es ist, nach einer Pause wieder einzusteigen, und ich würde die Situation suchen, die für mich körperlich, sportlich und im Sinne einer guten Partnerschaft die beste ist. Ich hatte den Eindruck, dass er bei Riis eine solche Situation gefunden hätte.

Zurück zu Ihnen. Können Sie sich vorstellen, zum Ende Ihrer Karriere auch einmal zu versuchen, Weltmeister zu werden oder einen Klassiker zu gewinnen?

Ich glaube nicht. Mein Plan ist, bis 2004 zu fahren, und bis dahin möchte ich versuchen, die Tour zu gewinnen. Wenn ich mir aber andererseits vorstelle, in 18 Monaten mit dem Radsport aufzuhören, fällt mir das schwer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dann keine Leidenschaft mehr verspüre.