Draußen vor der Tür

Isolde Haberl wollte ihr altes Leben hinter sich lassen. Doch das lässt jetzt sie hinter sich. Nach vier Jahren Spanien ist 53-Jährige zurück in Hamburg. Ohne Krankenkasse, ohne Arbeit, ohne Perspektive

von SANDRA WILSDORF

Sehnsucht nach einem einfachen Leben: Ohne Fernseher, dafür mit viel Sonne. Ohne großes Haus, dafür mit frischer Luft und Schwimmen im Meer. Ohne den rasenden Stress, den das Leben einer erfolgreichen Architektin und Mutter zweier Söhne mit sich bringt, dafür Gold schmieden, vielleicht malen, was Kreatives machen. So hatte Isolde Haberl sich das vorgestellt, ein ganz normaler Traum. Sie hat ihn einfach wahr gemacht. Doch statt einfach ist ihr Leben jetzt kompliziert, sie hat das Gefühl: „Es geht gar nichts mehr.“ Denn ihre alte Heimat hat die Türen hinter ihr abgeschlossen.

Isolde Haberl ist jetzt 53 Jahre alt. Fast 20 Jahre lang hat sich die allein erziehende Mutter mit einem Architekturbüro einen Lebensstil erarbeitet, der ihr einen alten Hof in der Nähe von Wiesbaden genehmigte. Doch es war auch ein Leben, das sie krank gemacht hat: „Ich hatte einen Herzinfarkt und dann kurz nacheinander zwei Bandscheibenoperationen.“

Ein Jahr lang war sie krank. Zu lange. Ihr altes Leben war zu Ende, ihr Unternehmen am Boden, und ihr war klar: So kann ich nicht weiterleben. Sie sehnte sich nach einem Neuanfang ohne Ballast und Verantwortung. Warum nicht auf Mallorca? Die Söhne hatten nichts dagegen. Drei Wochen später brachte ein Schiff nach Palma, was Isolde Haberl nicht verkauft hatte. Das war nicht mehr viel. Aber das neue Leben sollte ja auch ein einfaches Leben werden.

Daraus wurde nichts. „Weil die Schulen auf Mallorca auf Mallorquin unterrichten, musste ich meine Söhne auf einer internationalen Schule in Palma anmelden“, erzählt sie. Die war teuer, Palma war auch teuer. Und die Möglichkeiten einer Architektin, Goldschmiedin und überhaupt kreativen Frau, mit den bestehenden Gesellschaftskreisen – Isolde Haberl nennt sie den „Laufsteg der Eitelkeiten“ – ins Geschäft zu kommen, stellten sich als äußerst beschränkt heraus. Nach vier Jahren war klar: „Wir müssen zurück.“

Sie entschied sich für Hamburg und lieh sich von Freunden Geld für den Umzug. Im September kam sie zurück. Und stellte fest, dass das alte Leben sie „auf Nimmerwiedersehen“ verabschiedet hat. Jetzt darf sie auf keinen Fall krank werden, denn keine Krankenversicherung fühlt sich für sie zuständig. Die gesetzliche nicht – weil sie die verlassen hat, als sie nach Spanien ging. Und die private nicht – weil sie zu alt ist, zu viele Krankheiten hatte und nicht über das entsprechende Einkommen verfügt, all‘ das aufzuwiegen. Ihre einzige Chance: eine Arbeit. Mindestens ein Jahr müsste sie versicherungspflichtig angestellt sein, um wieder aufgenommen zu werden.

Doch sie ist zu alt, zu qualifieziert und zu selbständig. „Ich habe alles versucht, bin sogar bei einem Putzdienst auf der Liste.“ Zeitarbeits-Firmen haben nur gefragt: „Wer soll Sie denn einstellen? Es hat keiner Interesse, jemanden einzustellen, der immer selbständig war.“ Die 53-Jährige ist verzweifelt: „Ich bin pünktlich, zuverlässig, ich kann mit Computern umgehen, Buchhaltung machen. Ich kann Kaffee kochen, Autos reparieren und Leute empfangen. Ich kann verhandeln“: Sie könnte diese Liste endlos fortsetzen und man glaubt ihr aufs Wort.

Manchmal nimmt sie ihre Mappe mit dem Lebenslauf und streift durch die Stadt auf der Suche nach Arbeit. Wenn ihr ein Geschäft gefällt, geht sie rein und sagt: „Ich finde ihren Laden schön, ich würde gerne mitarbeiten.“ Ob sie nicht wüsste, wie knapp sie kalkulieren müsse, entgegnete die Eigentümerin eines Einrichtungsladens. Da könne sie sich doch keine Architektin leisten. Dabei hat Isolde Haberl es sich längst abgeschminkt, in ihrem alten Beruf zu arbeiten.

Sie hat viele Ideen, aber kein Geld sie umzusetzen. Ein Kredit für den Übergang? „Sowas gibt es nicht“, teilten Banken und Behörden mit. Auf Arbeitslosengeld hat sie keinen Anspruch, „weil ich da ja nie eingezahlt habe“. Deshalb hat das Arbeitsamt auch kein Interesse, sie weiterzubilden. Und für die vielen Förderprogramme, die Menschen mit Ideen die Selbständigkeit subventionieren, „bin ich zu alt“. Und ohne Eigenkapital. Bei einem Call-Center hat sie es auch schon versucht. Aber da sollte sie Leuten Spenden abschwatzen, an deren Sinn sie selber nicht geglaubt hat: „Das kann ich nicht.“

Isolde Haberl weiß nicht mehr weiter: „Ich habe in meinem Leben wirklich viel geleistet. Ich habe einen Haufen Steuern gezahlt und nie etwas in Anspruch genommen. Ich verstehe nicht, dass es nicht möglich sein soll, eine Chance zu bekommen, um hier wieder Fuß zu fassen.“