Nicht berufsjugendlich

Damit niemand astronomische Preise für ihre Platten bezahlen muss: Harburgs einzige echte Punkband „Blanker Hohn“ feiert eine späte Reunion und präsentiert am Mittwoch im Molotow ihre Best of-CD „Punks ist unser Hobby“.

von MARKUS FLOHR

1983 war das Jahr, in dem Joschka Fischer mit den Grünen das erste Mal in den Bundestag einzog und fürderhin, wie böse Zungen meinen, fleißig an seiner Karriere vom Steineschmeißer zum Außenminister arbeitete. Und Helmut Kohl besetzte seit dem Herbst des Vorjahres den Chefsessel im Bonner Kanzleramt. Damit, dass vier Harburger Gymnasiasten eine Punkband gründeten, sie Blanker Hohn nannten und eine gleichnamige Platte aufnahmen, hat das beides nur am Rande zu tun. Wenn eines diese Daten eint, dann das: alles ganz schön lange her.

Wie bei jeder guten Krachkapelle beherrschte niemand bei Blanker Hohn sein Instrument, als Vorbilder dienten neben den Hamburger Lokalmatadoren Slime die Sex Pistols, eine handvoll finnischer Hardcore-Bands – aber auch Grandmaster Flash, HipHop-Gottvater aus den USA. Geprobt wurde über die Gesangsanlage des Gymnasiums Sinstorf, den ersten Auftritt zauberte das Quartett auf die Planken des Freizeitheims Feuerteich, aber sonst war alles ziemlich klassisch, „auch mit ‚Bullen sind scheiße‘ und Straßenbesetzung gegen Kohl am Jungfernstieg und so“, erinnert sich Schlagzeuger Lorenz Ritter.

Ritter ist mittlerweile Texter bei einer veritablen Hamburger Werbeagentur, verheiratet und trägt statt eines Irokesen- einen modischen Kurzhaarschnitt. Und auch Sänger Oile und Gitarrist Frank sind ganz gut im bürgerlichen Leben angekommen: teils als Familienväter, alle mit festem Wohnsitz und Sozialversicherungsnummer – nach Anarchie oder Chaos schaut keiner der vier mehr aus. Eher nach vier sympathischen Männern im besten Alter, nach einer Skatrunde vielleicht. Allein Lorenz‘ Bruder Thomas ist nach eigenen Angaben „dem Rock‘n‘Roll ein bisschen treuer geblieben“: So betreibt er die Plattenlabel Stumble und Elbtonal, seine Haare sind im besten Elvis-Style zurückgewichst und unter seinem rechten Hemdsärmel lugt ein Tatoo hervor. Rock‘n‘Roll – na gut. Aber Punkrock? Warum hier, warum jetzt, nach „all den Jahren“, und wer braucht den Quatsch noch?

„Wir haben mit großer Verwunderung festgestellt, dass unsere einzige echte LP (Blanker Hohn, 1984) für astronomische Summen im Internet gehandelt wird“, erläutert Lorenz Ritter. „Darum haben wir uns entschlossen, eine Best of-Scheibe zu machen. Außerdem standen auf dem ersten Konzert seit 1989 im Winter letzten Jahres plötzlich 20-Jährige vor der Bühne und konnten unsere Texte mitsingen ...“ Sänger Oile sekundiert: „... meistens besser als wir.“

So berufsjugendlich wie jene Düsseldorfer Band namens Die Toten Hosen, mit denen Blanker Hohn dereinst die Bühne teilten, wollen die vier keinesfalls sein. Kein Marsch durch die Punkrock-Institutionen, keine zusammengeschraubte Verbindung zwischen Anarcho-Ethos und Fischer-Politik, wie Hosen-Sänger Campino sie so gerne herbeiredet. Die Harburger stehen 17 Jahre nach der Bandauflösung wie ein interessiertes Fachpublikum vor der eigenen Vergangenheit und finden sich selbst einigermaßen kurios. „Ich habe ja immer versucht“, erzählt Bassist Thomas Ritter, „die Band insgesamt in die Richtung der FDP zu rücken. Das hat aber nicht so gut geklappt, denn unser Gitarrist war CDU-Wähler ...“ Da unterbricht er sich selbst, denn „eigentlich bestehe ich da–rauf, dass wir als Band nicht politisch sind“. Lorenz stimmt zu: „Genau. Es geht um geil sein und sich geil fühlen, wir sind ein total unpolitischer Haufen. Wobei – Bambule finde ich auch geil. Privat bin ich eben Punk, als Band nicht.“ Kurze Pause, der Rest ist Gelächter.

Die Punkrock-Nicht-Moral der (ehemaligen) Harburger hält sich an keine Grenze und behandelt auch das politisch korrekteste Dogma wie einen Pausenhofwitz. Man muss sich für sie nicht, wie Joschka Fischer, nach 20 Jahren vor dem Bundestag rechtfertigen und immerhin befähigt sie Familienväter, wieder zu Punkrockern zu werden, nach „16 Jahren bürgerlicher Scheiße“.

mit Antikörper: Mittwoch, 21 Uhr, Molotow