„Ich bereue nichts“

Der versehrte Mann: Die Cicero-Galerie für politische Fotografie zeigt die Aufnahmen verwundeter Irakkrieg-Veteranen der mit dem World Press Photo Award ausgezeichneten amerikanischen Fotografin Nina Berman

Sein Gesicht ist eine fleckige, vernarbte Fratze. Die Augen, eines davon blind, sind zwei nässende Schlitze. Eine kleine Erhebung mit zwei ungleichen schwarzen Löchern markiert das, was früher eine Nase war. Anstelle von Lippen umranden zwei fleischige Hautschwülste den Mund, von den Ohren existieren nur mehr kleine Löcher.

Das ist Ty Ziegel, 24 Jahre alt. Am Tag seiner Hochzeit trägt er die dunkelblaue Uniform eines amerikanischen Marineoffiziers. Ein „Purple Heart“ ist daran befestigt. Der Orden wird an amerikanische Soldaten verliehen, die im Kampf verwundet wurden. Ty Ziegel erhielt es, nachdem er vor vier Jahren im Irakkrieg Opfer eines Selbstmordattentats geworden war. Eingeschlossen in einem brennenden Lastwagen, versengte die Hitze sein Gesicht bis zur völligen Unkenntlichkeit, er verlor einen Arm und drei Finger der anderen Hand. Neben ihm steht, jung und hübsch in weißem Hochzeitskleid, die 21-jährige Renee Kline, seine Braut. In der Hand hält sie einen großen Strauß blutroter Rosen. Verstört starrt sie in die Ferne. Die beiden hatten sich vor Ziegels Verwundung auf einem Heimaturlaub des Soldaten die Ehe versprochen.

Mit dieser 2006 entstandenen Fotografie, Titel „Marine Wedding“, gewann die New Yorker Fotografin Nina Berman den ersten Preis des World Press Photo Award in der Kategorie Porträt. Das Bild ist in den USA zu einer Ikone des Irakkrieges geworden.

Die Fotografie wirkt eher wie eine allegorische Gegenüberstellung von Schönheit und Hässlichkeit, nicht wie ein reales Hochzeitsfoto. Auch steht das klischeehafte Setting, ein billiges kleinstädtisches Fotostudio mit dunkelblau melierter Leinwand als Bildhintergrund, im absurden Gegensatz zum Schicksal des Paares. „Marine Wedding“ ist der Abschluss einer gleichnamigen Fotoserie, die Renee Kline und Cy Ziegler bei den Hochzeitsvorbereitungen zeigt, Teil der Ausstellung „Purple Hearts“ in der Cicero-Galerie für politische Fotografie.

Bereits kurz nach Kriegsbeginn porträtierte Nina Berman 2003 für den Fotografieband „Purple Hearts: Back from Iraq“ versehrte Irakveteranen. Sie fügte den Bildern umfangreiche Interviews mit den Betroffenen bei. Auszüge aus dem Buch sind ebenfalls in der Galerie zu lesen.

Berman zeigt die Veteranen zumeist alleine in ihrem häuslichen Umfeld. Dort sind sie mit ihren Beinstümpfen, Prothesen und Narben keine verwundeten Soldaten mehr, sondern schwer behinderte Personen. Kein militärisches Pathos spendet Trost, jeglicher Anflug von Heldentum löst sich beim Anblick der schlecht sitzenden Jogginganzüge, der billigen Wohnungseinrichtungen und der leer blickenden Gesichter auf. Trotz ihrer journalistischen Herangehensweise – Nina Berman verändert an dem, was sie vorfindet, nichts – wirken die Bilder oft artifiziell und konstruiert. Die Perspektiven sind extrem, teilweise aus der Untersicht, oft sind die Räume, in denen die Veteranen sich befinden, subtil ausgeleuchtet.

Die Interviewausschnitte erstaunen. „Ich bereue nichts“, ist ein häufiger Kommentar der Verstümmelten. Andere erzählen vom „Spaß“, den sie in der Zeit im Irak gehabt haben und von den Adrenalinkicks. Aus den Aussagen werden die sozialen Hintergründe und Bildungshorizonte der Veteranen ersichtlich, die im Kriegsdienst die bessere Alternative zum Leben in den USA gesehen haben. Von Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit auf dem Lande ist die Rede, von der ermordeten Familie im großstädtischen Ghetto, von Kriegsfilmen, die früh als (einzige) Vorbilder dienten. So sind die Gründe für ihren freiwilligen Eintritt in das Militär eine profunde Kritik der amerikanischen Gesellschaft. FRANKA NAGEL

Bis 15. November, Nina Berman „Purple Hearts“ , Cicero-Galerie, Rosenthaler Str. 38, Di.–Fr. 12– 19, Sa. 11–16 Uhr,