Europa in der Machismo-Falle

Die europäischen Politiker haben das Thema Irak jahrelang sträflich vernachlässigt. Deshalb haben sie der Position der USA politisch jetzt nur wenig entgegenzusetzen

Die USA sind bei der Durchsetzung ihrer Ziele zutiefst abhängig von ihren Freunden und Verbündeten

In zwei Tagen wird US-Außenminister Colin Powell dem UN-Sicherheitsrat vermeintlich untrügliche Beweise für irakische Waffenprogramme und Al-Qaida-Verbindungen Bagdads vorlegen. In ein paar Wochen werden wir auf CNN wahrscheinlich wieder die vertrauten Lichtblitze über der irakischen Hauptstadt sehen. Golfkrieg Nummer drei. Ein Kollateralschaden ist schon zu melden, bevor die erste Bombe gefallen ist: die europäische Außenpolitik.

Einige der acht europäischen Staats- und Regierungschefs, die unlängst im Wall Street Journal ihren Bückling vor George W. Bush machten, beziehen jetzt dafür zu Hause innenpolitische Prügel. Bloß ändert das nichts daran, dass die amerikanische Regierung den Punkt „Europa“ auf ihrer Sorgenliste vorerst mit dem Vermerk „erledigt“ abhaken kann. Wer wie viel zu diesem Debakel beigetragen hat, sei dahingestellt. Ein gerüttelt Maß Schuld liegt jedenfalls bei der rot-grünen Bundesregierung, genauer gesagt beim Kanzler. Der hat das Kunststück fertig gebracht, mit der ethisch und völkerrechtlich richtigen Position den größtmöglichen diplomatischen Flurschaden anzurichten. Doch selbst wenn es die Berliner Malaise nicht gegeben hätte – eines steht fest: Europa ist in die „Machismo-Falle“ der Vereinigten Staaten getappt.

Spätestens seit George W. Bush im Januar 2002 die „Achse des Bösen“ festgelegt hat, gilt folgende neue Weltordnung: Die USA wollen sich, strotzend vor (militärischer) Kraft, eine Wagenburg bauen – inklusive Raketenschutzschild, Recht auf Präventivkrieg, Ersteinsatz von Nuklearwaffen, Sicherung von Rohstoffen. Teil dieser Strategie – auch wenn europäische Friedensaktivisten dies hartnäckig ignorieren – ist ein missionarischer Idealismus, der an die New-Deal-Demokraten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert: Demokratisierung und Amerikanisierung geschlagener Kriegsgegner.

Die EU hat bislang genauso reagiert, wie es sich die amerikanischen Autoren dieses Drehbuchs gedacht haben: Sie ist uneins, diffus und nachgebend, besteht eher hilflos auf der „Ablehnung von Gewalt“ und überlässt in den Augen der Washingtoner Neokonservativen die wirklich harte Entscheidung in der Welt der Machtpolitik immer wieder den Vereinigten Staaten: die Entscheidung über Krieg oder Frieden. „This is what separates the men from the boys“ – hier sieht man, wer Kerl ist und wer Kind, heißt es in Washington. „Eurowürstchen, Weichlinge“, tönt es aus den Amtszimmern republikanischer Abgeordneter.

Wie tritt man also einer Supermacht gegenüber, die vor militärischer Kraft kaum laufen kann und sich und die Welt seit dem 11. September 2001 in permanentem Ausnahmezustand sieht? Nun, möglichst selbstbewusst. Bloß müsste man dazu erst einmal die eigenen Stärken verinnerlichen, die vor kurzem der britische Autor Tony Judt aufgezählt hat: „Die Europäische Union stellt derzeit zehnmal mehr Soldaten als die USA für Peacekeeping-Einsätze. Im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, Albanien, Sierra Leone und anderen Ländern haben die Europäer mehr Soldaten verloren als die Amerikaner. 55 Prozent der Weltentwicklungshilfe kommen aus der EU. Europäische Ausgaben für Verteidigung, Auslandshilfe, Nachrichtendienste und Polizei – allesamt essenzielle Bestandteile zur Bekämpfung des Terrorismus – sind mindestens so hoch wie der amerikanische Militärhaushalt. Trotz allem Machogehabe, das man in Washington öfter mit außenpolitischer Analyse verwechselt: Die Vereingten Staaten sind bei der Durchsetzung ihrer Ziele zutiefst abhängig von ihren Freunden und Verbündeten.“

Wie tritt man einer Supermacht gegenüber, die vor Kraft kaum laufen kann? Möglichst selbstbewusst!

Das haben Letztere aber noch nicht verinnerlicht, was nicht nur an ihrer Zerstrittenheit liegt. Peacekeeping und Wiederaufbau gelten nicht als Pfund, mit dem man wuchert. Es sind „weiche“, „weibliche“ Aufgaben – nachgeordnet, unspektakulär, mühselig. Bislang ist noch niemand in Europa auf die Idee gekommen, den Amerikanern zu sagen: Hier zeigt sich, wer Kerl ist und wer Kind.

Hilflos sind die Europäer auch aus einem anderen Grund: Sie selbst haben das Thema Irak jahrelang sträflich vernachlässigt. Folglich hatten sie politisch wenig zu bieten, als die Vereingten Staaten bald nach dem 11. September 2001 Saddam Hussein ins Visier nahm. Vielleicht sähe die Situation heute anders aus, hätten die Vertreter der Europäischen Union nach George Bushs Entdeckung der „Achse des Bösen“ im Januar letzten Jahres mit einer eigenen Irak-Initiative im Sicherheitsrat gekontert: Aufhebung des katastrophalen und kontraproduktiven Embargos; gezielte Hilfe für eine irakische Opposition; Ausdehnung der Flugverbotszone auf das gesamte Territorium; Beobachter der Vereinten Nationen, die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren und melden; neue, verschärfte Waffeninspektionen. Letztere sind, solange Saddam Hussein an der Macht ist, ohne Androhung von Militärschlägen nicht möglich. Wer also argumentiert, dass der Irak durch UN-Inspektoren entwaffnet werden kann, der muss ehrlicherweise auch sagen, welche Drohkulisse dafür nötig ist.

Schließlich bleibt noch die Frage, um die sich in Deutschland sowohl Politiker als auch Friedensbewegung herumdrücken: Wäre ein Krieg zum Sturz Saddams unter humanitären Gesichtspunkten gerechtfertigt?

Saddam Husseins Verbrechen am eigenen Volk stellen die eines Slobodan Milošević in den Schatten

Natürlich ist es infam, wenn die Bush-Regierung sich jetzt als potenzieller Befreier des irakischen Volks geriert – nach allem, was die Vereinigten Staaten, aber auch Frankreich und Deutschland dem Diktator früher an Waffen geliefert haben. Nur ändert das nichts daran, dass ein Krieg für viele Iraker Hoffnung stiftet auf ein Ende der Diktatur, auf Demokratisierung. Saddam Husseins Verbrechen am eigenen Volk stellen die eines Slobodan Milošević in den Schatten: Giftgaseinsätze, Massenhinrichtungen, „ethnische Säuberungen“, Folter. Das legitimiert keinen Präventivkrieg – schon gar nicht in Anbetracht des möglichen Einsatzes von Massenvernichtungswaffen, den in diesem Fall beide Seiten androhen. Aber es zeigt, dass es eine moralisch unangreifbare Position in dieser Frage nicht mehr gibt.

All dies hätte eine formidable europäische Position ergeben können, die zudem einen wichtigen Verbündeten in den USA gefunden hätte: Die amerikanische Öffentlichkeit zeigt bislang keine große Begeisterung für den unilateralen Kriegskurs ihres Präsidenten. Die Mehrheit will keine Militäraktionen ohne UN-Mandat. Genau dies aber hat die Bush-Administration im November letzten Jahren einem furchtsam agierenden Sicherheitsrat mit Resolution 1441 abgerungen. Ein Präventivkrieg hat so das Mäntelchen der Legitimation erhalten. Wahrscheinlich kann diesen Krieg jetzt nur noch ein Putsch in Bagdad verhindern. ANDREA BÖHM