Morden als Königsdisziplin

Im Blutrausch zur Macht: Andreas Kriegenburg macht in seiner Inszenierung des „Macbeth“ am Thalia Theater aus Königen Büromenschen und lässt sie in entsprechend distanzierter Atmosphäre dem olympischen Motto „Dabei sein ist alles“ folgen

von LIV HEIDBÜCHEL

Zu Beginn kleine, symmetrisch angeordnete Glaskastenbüros mit scheinbar funktionierenden Büromenschen drin. Kommunikation findet über den Computer statt, manchmal übers Telefon. Für Kontakt vis-a-vis ist kein Raum. Über alldem prangt statt der Börsenzahlen die olympische Losung: Dabei sein ist alles.

Dass es nicht unbedingt aufs Gewinnen ankommt, sondern darum, gut zu kämpfen, ist fürderhin das Problem von Macbeth. Thalia-Oberspielleiter Andreas Kriegenburg macht in seiner düsteren Inszenierung deutlich, worum es in unserer kriegs- und machtgeilen Welt derzeit geht: Morden als Königsdisziplin. Keine von Kriegenburgs Figuren reitet dafür in eine Schlacht: Kriege beginnen per Knopfdruck, über Kriegsanleihen verhandelt man mit dem Hörer in der Hand. Jörg Pose – Neuzugang im Thalia-Ensemble – gibt Macbeth überzeugend als den halb durch Sachzwänge zur Macht Gedrängten, halb nach ihr Greifenden, als den man ihn bei Shakespeare finden kann. Nur eben im schlecht sitzenden Anzug und mit Kassengestell auf dem verkrampften Gesicht.

Macbeth will aufsteigen, doch allein dies Eingeständnis überfordert ihn. Ohne den Druck seiner Frau – als vermeintlich schlichter Büroengel mit Ponyfrisur (Natali Selig) – käme es wohl nie zum Mord an seinem Chef, König Duncan, dem letzten Patriarchen (Harald Baumgartner). Doch auch die drei Hexen hauchen Macbeth große Taten ins Ohr. Bezeichnenderweise immer genau das, was er sich sehnlichst wünscht. Von Ritterrüstung und Edelmut allerdings keine Spur in der beklemmenden Büroatmosphäre (Bühne: Johanna Pfau). Im Anschluss an ein desolates Betriebsfest mit viel Alkohol und abgezählten Luftschlangen soll der Chef dran glauben.

Nach Gesprächen und Mord in enger Korridorlandschaft, geht es nach der Pause weiter in der karg möblierten Oberchefetage. Hier findet Macbeths einziger Freund im Kollegium, Banquo, Gefallen an der Macht. Peter Kurth als eigentlich loyaler, aber eben fähigerer Kollege, ergreift hier mit einer gekonnten Arie seinen Platz und singt Macbeth sprichwörtlich zu Boden. Szenenapplaus. Dass Banquo an Macbeths Herrschersitz rüttelt, ist sein Verhängnis: Zwei Killer (ein schrecklich-wundervolles Duo: Thomas Schmauser und Helmut Mooshammer) machen in einer grauenhaften Szene die Drecksarbeit der Folterer. Macbeths Wahnsinn durch Blutrausch und zerrüttetes Gewissen ist nun nicht mehr zu stoppen. Auch Frau und Kinder des Rivalen Macduff sind im Wege. Seit jeher gilt dieser Mord an Unschuldigen als der Erschreckendste. Auch Kriegenburg scheut hier keine Deutlichkeit.

Leider bricht ab jetzt der Spannungsbogen ab. Kriegenburgs Faible fürs Burleske, für den Galgenhumor gibt besonders die Hauptfigur mehr und mehr der Lächerlichkeit preis: Ein enthemmt drauflosschreiender, von seiner Rolle genervter Macbeth schafft unnötig Distanz. Überhaupt geraten manche Szenen, etwa die der Hexen, zu langatmig und ereignisarm. Wie die Protagonisten wartet man darauf, dass es endlich vollbracht sein möge. Macduff schließlich rächt den Tod seiner Familie und sticht Macbeth kurzerhand nieder – grad so, wie man es aus Zeitungsmeldungen kennt. In Chefposition kommt dann doch des Patriarchen Sohn Malcolm (Hans Löw), ein durchs Leben treibender, von der Gewalt beängstigend abgestumpfter Junge. Auch er mag sich denken: Hauptsache, man ist dabei gewesen.

Blutig, rücksichtslos und unterm Strich hat der Regisseur eine triftige, eiskalte Inszenierung hingelegt, eines heutigen Macbeth, für den es am Ende eine „interne Lösung“ gibt. Wieder einmal eine tolle Ensemble-Leistung in Kriegenburgs Theater.

weitere Vorstellungen: 9.2., 14.30 Uhr (mit Einführung) + 10.2., 20 Uhr, Thalia