Biographisches Vakuum

Preview im Abaton: „Bungalow“, der erste abendfüllende Film des Hamburgers Ulrich Köhler, prägt eine eigene Ästhetik der filmischen Kontemplation von Erfahrung

von JAKOB HESLER

Eine Bundeswehrkolonne parkt auf einer Raststätte in der hessischen Provinz. Ein Trupp geht in den Imbiss. Die Kamera schwenkt langsam mit, gleitet dann das Gebäude entlang, macht Halt am Terrassenausgang. Ein junger Soldat tritt heraus, die Kamera schwenkt wieder zurück, er nimmt Platz. „Aufsitzen!“, kläfft eine Stimme. Aber der Rekrut rührt sich nicht. Er lässt die anderen einfach abfahren. Unerlaubte Entfernung von der Truppe?

Eine Handlung ist dieses Sitzenbleiben höchstens im juristischen Sinn, allenfalls Handeln durch Nichthandeln. Diese Passivität auch noch in der Verweigerung ist charakteristisch für Paul, die trotzige Hauptfigur von Bungalow (2002), und die extrem lange, ungeschnittene und perfekt durchkomponierte Sequenz ist es für die Ästhetik dieses vielfach preisgekrönten Debütfilms.

Paul (Lennie Burmeister) macht sich darin auf den Weg zum nahegelegenen Bungalow seiner verreisten Eltern. Hier wird der flüchtige Wehrdienstler für ein paar Tage eine merkwürdige Auszeit verbringen. Sie entspricht dem biographischen Vakuum der Adoleszenz, dessen Unterdruck eine sichtlich lähmende Wirkung hat. Paul lässt die Schultern hängen, schlurft und stolpert. Lustlos hakt er die Hobbys seiner Jugend ab. Er kifft und onaniert. Er skatet Feldwege hinab, in adäquat bewegungsarmen Bildern, die synchron zur Fahrt sein Gesicht und die Perspektivlosigkeit dieses Tuns festhalten. Seiner Freundin aus dem Dorf schlägt er albern das Auswandern nach Afrika vor. Bei solchen Zukunftsplänen braucht man nach dem Jetzt gar nicht erst zu fragen. Dass sich etwas ändert, und zwar im Heute, wenn man sich sechs Wochen nicht meldet, versteht Paul nicht. „Was hat sich denn geändert?“ – „Es ist Schluss.“ Ihm doch egal.

Anderen begegnet Paul mit impertinentem Grinsen. Kurz nach seiner Ankunft machen auch sein älterer Bruder Max und dessen Freundin Lene auf der Durchreise Station im Bungalow. Paul geht Max provokativ auf die Nerven. In die souveräne Lene dagegen „verliebt“ er sich. Das sexualisiert die Atmosphäre zunehmend. Aber es bleibt Ersatzhandlung, motiviert durch eine paradoxe Sehnsucht nach dem Erwachsenendasein. Auf seiner Flucht nach Hause kommt Paul nirgends an. Die Maßstäbe seiner Herkunft sind unglaubwürdig geworden.

Gefangen halten sie ihn dennoch. Dafür steht wohl der im Filmtitel zur Leitmetapher erhobene Bungalow, das leerstehende Elternhaus, in dem Paul sich wie ein Einbrecher bewegt. Zwei Garagen, ein Haus mit Flachdach: Wohlstand ohne Überbau. Wenn Regisseur Köhler auch erklärtermaßen keine bestimmte Jugendkultur abbilden wollte, sozial zuzuordnen ist Paul durchaus: der postideologischen Orientierungslosigkeit, deren urbane Variante jüngst noch von einer bestimmten Jugendkultur in einer neuen pop-literarischen Décadence verherrlicht wurde. Pauls Wurstigkeit ist ihr wahres Gesicht. Und die Provinz, ein sinnfreies Arrangement von Einfamilienhäusern und Kreisverkehren, ein zum unscharfen Bildhintergrund geronnenes Grün, durch das ab und zu Landmaschinen fahren, das ist ihr Ort.

Bungalow verweigert sich dem Erklären und verschreibt sich dem Zeigen. Diese Ästhetik, die man fast schon das Paradigma des produktiven jungen Gegenwartsfilms nennen könnte, zwingt zur Konzentration auf konkrete Erfahrung, ähnlich wie Klassenfahrt von Henner Winckler, mit dem Köhler an der HfbK studiert hat. Bungalow setzt durch den Verzicht auf Schnitte den Zuschauer der vollen Wirkung von Situationen aus. Aber nicht im Doku-Stil, denn diese Einstellungen sind keine Protokollsätze. Sie schaffen Bilder, konstruieren, erzählen.

Preview mit Regisseur und anderen Gästen am 3.2., 20h, Abaton. Filmstart am 6.2.