Eine neuer Staat mit Probezeit

Die „Gemeinschaft Serbiens und Montenegros“ löst die Bundesrepublik Jugoslawien ab

BELGRAD taz ■ Ein neuer Staat auf dem Balkan ist geboren. „Gemeinschaft Serbiens und Montenegros“, statt Bundesrepublik Jugoslawien, heißt er. Das Staatsgebilde soll einen Sitz in der UNO, eine gemeinsame Verteidigungspolitik, einen Präsidenten und Ministerrat, fünf Ministerien und ein Bundesparlament haben.

Das wäre schon alles, was an einen Staat im herkömmlichen Sinne erinnert. Denn die Gründerrepubliken behalten verschiedene Währungen, ein getrenntes Bank- und Zollsystem sowie getrennte Justiz- und Schulwesen. Man weiß nicht einmal, wie die offizielle Sprache heißt, das Wappen aussieht oder wie sich ein Staatsbürger „Serbiens und Montenegros“ bezeichnen soll. Ebenso wenig weiß man, wie die Eigentumsfragen geregelt werden sollen. Was man weiß, ist, dass der Staat eine dreijährige Probezeit hat. Danach, so steht es in der Verfassungsurkunde, dürften die Bürger über die gemeinsame Zukunft in einem Referendum entscheiden.

Sich aller Schwächen des Abkommens bewusst, stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten in den Parlamenten Serbiens und Montengros für die Verfassungsurkunde, die als Grundstein des Staates dienen soll – der vierten Staatsgemeinschaft Serbiens und Montenegros in sechzig Jahren. Jetzt soll auch das jugoslawische Bundesparlament das Abkommen absegnen. „Die EU fordert das Fortbestehen des gemeinsamen Staates, es ist die Bedingung für die Wiederaufnahme in internationale Organisationen“, brachten Serbiens und Montenegros Ministerpräsidenten, Zoran Djindjić und Milo Djukanović, die Staatsgründung auf den Punkt. Die Alternative wäre für beide Teilrepubliken internationale Isolierung und Stopp der Finanzhilfen.

Die Verfassungsurkunde sei mehr eine „politische Deklaration“ erklärte Slobodan Vucetić, Vorsitzender des serbischen Verfassungsgerichts. Dies sei eine noch nie dagewesene Gemeinschaft zweier fast unabhängiger Staaten, die sich gegen den eigenen Willen auf eine Staatengemeinschaft einlassen: Djukanović würde sich nach wie vor für die Unabhängigkeit Montenegros, Djindjić für das Zusammenwachsen der Gründerrepubliken einsetzen. Eine Staatsform wie diese könne nicht erhalten bleiben. Kritiker meinen, dass die primäre Aufgabe der Bundesinstitutionen sein werde, sich so wenig wie möglich in die Angelegenheiten der Gründerrepubliken einzumischen.

Der Einzige, der von einem historischen Augenblick sprach, war der hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Xavier Solana. Er hatte das Abkommen vermittelt und entsprechenden Druck ausgeübt. Für die EU ist es wichtig, dass die Form erhalten bleibt und neue Grenzziehungen auf dem Balkan verhindert werden. Man befürchtet, dass der Zerfall Jugoslawiens zur Unabhängigkeit des Kosovo führen und einen sezessionistischen Dominoeffekt in Bosnien und Mazedonien auslösen könnte. ANDREJ IVANJI

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