heute in bremen
: „Sehr handfest profitieren“

Danziger und Bremer Experten diskutieren die Revitalisierung postindustrieller Areale

taz: Herr Warsewa, die Künstler und Designer in der Überseestadt verfügen über Lofts und schicke Büros, während ihre Danziger KollegInnen in der ehemaligen Leninwerft eher in schimmeligen Hallen arbeiten. Inwiefern lassen sich die jeweiligen Revitalisierungsansätze vergleichen?

Günter Warsewa, Stadtsoziologe an der Uni Bremen: In beiden Städten sehe ich sehr große Modernisierungsmöglichkeiten. Nur hat die „Young City“, die auf der Danziger Werft entstehen soll, einen ungefähr zehnjährigen Entwicklungsrückstand hinter der Überseestadt, die ihrerseits wiederum den entsprechenden Vorreitern in der westlichen Welt einige Jahre hinterherhinkt. Der gravierendste Unterschied ist allerdings, dass mit der Danziger Werft die Solidarność-Geschichte verbunden ist.

Führt der Denkmal-Charakter des Areals zu einer Modernisierungsverzögerung?

Die Investoren treffen auf einen tief gehenden Widerstand, nicht nur bei den verbleibenden Werftarbeitern, auch bei weiten Teilen der Stadtbevölkerung. Andererseits ist die Solidarność-Tradition auch eine Stärke des Standorts. Von Gdańsk lernen kann also heißen, einen selbstbewussten Umgang mit Geschichte zu lernen.

Nun ist aber in der Überseestadt nicht der Ostblock zusammengebrochen. Auf welche Stärken kann man sich hier besinnen?

Es gibt immerhin eine tausendjährige Seefahrts- und Handelsgeschichte mit internationalen Kontakten, Geschäftspartnerschaften und einem kulturellen Verständnis. Das alles wird heute mehr denn je gebraucht: Europa-Kompetenz, Engagement in Städtepartnerschaften und internationalen Netzwerken. Davon könnte Bremen handfest profitieren.

Wenn Künstlergruppen Brachen wieder urbar gemacht haben, werden sie von der folgenden Urbanisierung in der Regel selbst verdrängt. Ist es sinnvoll, am eigenen Ast zu sägen?

Ich würde das als Win / Win-Situation bezeichnen. Es ist eine gegenseitige Funktionalisierung, von der beide Seiten profitieren.

Trotzdem wird niemand gern vertrieben.

In der Tat sind die Künstler der schwächere Teil. Man muss dafür sorgen, dass solche Prozesse fairer verlaufen. Int.: Henning Bleyl

Öffentliche Tagung: Zwischen 10 und 19.30 Uhr im Speicher XI