Wachablösung bei Österreichs Grünen

Die 39-jährige Kärntnerin Eva Glawischnig beerbt den langjährigen Parteivorsitzenden Alexander Van der Bellen

WIEN taz ■ „Der Bart ist ab“, titelte der Kurier am Samstag anlässlich des Rücktrits des Wirtschaftsprofessors Alexander Van der Bellen als Chef von Österreichs Grünen. Selbst seine engsten Mitarbeiter wurden Freitag überrascht, als der Mann mit dem Fünftagebart erklärte, er hätte das bereits am Abend nach den Wahlen entschieden.

Nach jahrelangem bescheidenen Wachstum hatten die Grünen bei den Nationalratswahlen vom 28. September einen halben Prozentpunkt und ein Mandat verloren. Mit voraussichtlich 10,4 Prozent (nach Auszählung aller Wahlkarten) wurden sie von der dritten Kraft zur kleinsten Partei im Parlament. Das Ziel, stark genug für eine Koalition mit SPÖ oder ÖVP zu werden, verfehlten sie klar.

Der erweiterte Bundesvorstand folgte dem Vorschlag des abgehenden Bundessprechers und ernannte dessen Vize Eva Glawischnig zur designierten Parteichefin. Die einzige Gegenstimme kam vom EU-Abgeordneten Johannes Voggenhuber, der einwandte, die langjährige Kronprinzessin hätte den Rückschlag genauso zu verantworten.

Van der Bellen, 64, hatte die Ökos vor fast elf Jahren als zerstrittenen Haufen mit 5 Prozent übernommen und zur respektierten Partei gemacht, die viele gerne in der Regierung sähen. Allerdings haben die Grünen auch das rebellische Image verloren, das sie für die jungen Wähler attraktiv machte. Sie wirken etabliert und mit ihren kopflastigen Themen zu intellektuell für Durchschnittsbürger.

Mit diesem Problem wird sich die neue Hoffnungsträgerin beschäftigen müssen. „Wir brauchen eine grundlegende Reform“, konstatierte Rudi Anschober, der in Oberösterreich als Umweltlandesrat mitregiert. Eine solche wird auch seit einem Jahr vorbereitet. Die zähen basisdemokratischen Entscheidungsprozesse sollen gestrafft und zentralisiert werden. Durch die Neuwahlen ist das Projekt aber zunächst auf Eis gelegt worden.

Ob die 39-jährige Eva Glawischnig die notwendige Aufbruchsstimmung verbreiten kann, wird an der Basis zum Teil bezweifelt. Die Kärntnerin gilt zwar als kompetent in Umwelt- und Frauenfragen, doch muss sie beweisen, dass sie die Führungsqualitäten ihres Vorgängers übernommen hat. In ihrem Amt als dritte Nationalratspräsidentin, das sie an einen rechten FPÖler abgeben muss, konnte sie sich bei den anderen Parteien Respekt verschaffen.

Das Etikett der „wunderschönen Marxistin“, das ihr ein ÖVP-Politiker verpasste, haftet ihr jedoch immer noch an. Auch wenn sie sicher keine Marxistin ist. Vielmehr wird ihr vorgeworfen, in der Liga der Reichen und Schönen mitspielen zu wollen. Legendär war ihr Auftritt im nabelfreien Brautkleid. RALF LEONHARD