Lichte Perlen, großzügige Paradiese

Die Architekturfakultät der TU zeigt in einer Ausstellung die schwungvollen und kühnen Betonschalen des Rügener Bauingenieurs Ulrich Müther

„Quadratisch, praktisch, gut“, der Ritter-Sport-Werbespruch kann auch für das Bauen im Berlin der 1990er-Jahre entlehnt werden. Bei nahezu allen Neubauten der wiedervereinigten Stadt drangen Politiker und Stadtplaner auf den lediglich in Nuancen differenzierten Kanon kubischer und gedrungener Formen. Folgerichtig errang daher das 2000 abgerissene „Ahornblatt“ auf der Fischerinsel Kultstatus. Der raumgreifende Bau war die große Ausnahme und er bildet in der – zu Recht mit „Kühne Solitäre“ betitelten –Ausstellung im Architekturgebäude der Technischen Universität den lokalen Bezug zum Werk von Ulrich Müther.

In der doppelt gekrümmten Form, die Müther bevorzugt, können dünnwandige Betonschalen anders als einfach gekrümmte Flächen – etwa herkömmliche Gewölbe – enorme Weiten ohne Stützen überspannen. Gleichzeitig wird die aus der Statik entwickelte Gestalt der „hyperbolischen Schalen“ zum architektonischen Element. „Vom Standpunkt der Plastik aus schafft dieses Verfahren nackte Flächen, scharfe Kanten, die ein wirkungsvolles Ausdrucksmittel darstellen“, charakterisierte der französische Architekt Emile Aillauds den Schalenbau, „der konventionelle Begriff der monumentalen Ordnung verschwindet – an seine Stelle tritt der ‚expressive Gegenstand‘.“ Den Namen von Müthers Bauten ist denn auch der entsprechende Klang eigen: „Inselparadies“ oder „Ostseeperle“ heißen zwei seiner vielen Gaststättenbauten in der gesamten DDR, deren lichte Großzügigkeit für manche kulinarische Einschränkungen damals wie heute entschädigt. Wenn sie denn noch betrieben werden. Die Ausstellung kam nämlich durch ein Architekturseminar bei Claus Steffan zustande, das die Umnutzung einiger leerer, inzwischen maroder Bauten als Beitrag zum nachhaltigem Tourismus thematisierte.

Müther, der „Landbaumeister aus Rügen“, ist ein nüchterner Mann, wie man es von einem Bauingenieur erwartet. Diese Pragmatik macht die kuriose Kontinuität verständlich, mit der er auch nach der Enteignung das väterliche Bauunternehmen als „VEB Spezialbau Rügen“ weiter leitete. Die dort konzipierten Planetarien entwickelten sich zum Exportschlager der DDR. Müther realisierte mit der Architektin Gertrud Schille von den Zeiss-Werken in den 1980er-Jahren solche Bauten in Tripolis, Medellín, Kuwait und Berlin. Vorher schon hatte der Betrieb aus Binz eine Kuppelschale in Wolfsburg als Gegenleistung für die Lieferung von etlichen tausend VW-Golfs in die DDR errichtet.

Die Schalendächer sind ungleich schwungvoller als die Kuppeln. Trotzdem haftet ihnen etwas Anachronistisches an. Im übrigen Europa wurden bereits seit den 1960er-Jahren kaum noch Gebäude mit dieser Tragstruktur gebaut, da die Arbeitskräfte teurer als das Material geworden waren. Anstelle aufwändiger gebogener Schalungen verbrauchte man lieber mehr Stahl und mehr Beton.

Die Renaissance der Bauten von Müther entbehren nicht des Sentiments. Allerdings weniger wegen der DDR-Baukultur, denn in den Details haben die kollaborierenden Architekten oft versagt: Plump eingesetzte Fensterrahmen oder unbeholfen gestaltete Fußpunkte an den Ständern schmälern das Filigrane der Schalen zuweilen erheblich. Vielmehr beruht die aktuelle Wertschätzung auf ihrer zeichenhaften Wirkung. Als ein solches Stadtmerkmal trotzt das verschwundene „Ahornblatt“ wenigstens noch als Mosaikbild am ehemaligen DDR-Bauministerium dem banalen Irgendwie-irgendwas-Kasten, der an seiner Stelle errichtet wurde.

MICHAEL KASISKE

Bis 7. Februar, Fakultätsforum des Fachbereichs Architektur, Str. des 17. Juni 152, Mo.–Fr. 10–18 h