VORSICHTIGES UMDENKEN: OSLOS WIDERSTAND GEGEN BRÜSSEL SINKT
: Bush treibt Norwegen in die EU

Paradoxerweise die Außenpolitik der Bush-Administration ist offenbar eine wichtige Ursache dafür, dass die NorwegerInnen ihren „Einsam sind wir am stärksten“-Standpunkt überdenken. Plötzlich suchen sie die Nähe zur EU. Der ansonsten treue Nato-Verbündete der USA sucht deutlich Distanz zu den Kriegstreibern in Washington. Hatte das Land schon als zeitweises Mitglied des UN-Sicherheitsrats – auf dem nun von Deutschland übernommenen Platz – aus seiner Bush-skeptischen Haltung kein Hehl gemacht, zeigte der christdemokratische Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik in der vergangenen Woche Antikriegsflagge wie keiner seiner skandinavischen Kollegen – auch nicht der Sozialdemokrat Göran Persson: Der deutsche Standpunkt zur Frage eines Irakkriegs sei wohl der, welcher dem Oslos am nächsten stehe.

Dabei hatten gerade außenpolitische Argumente in der norwegischen EU-Debatte der letzten Jahrzehnte nie eine große Rolle gespielt. Wenn es der Wirtschaft nicht nützt, kann Brüssel uns gestohlen bleiben, lautete ein gängiger Standpunkt: Werden wir EU-Mitglied, müssen wir unsere nationalen Reichtümer mit den anderen teilen. Und ist eine Gesellschaft mit Öl und Fisch gleich doppelt gesegnet, ist es leicht, eine Mehrheit von den Vorteilen der Außenseiterposition zu überzeugen. Geht eine solche Haltung einher mit dem tief verwurzelten Stolz auf alles Norwegische, fällt es wirklich schwer, irgendwelche Vorteile im Verzicht auf Rechte zugunsten Brüssels zu sehen.

Doch auch was diese vermeintliche wirtschaftliche Unabhängigkeit angeht, setzt sich die Erkenntnis durch, dass es damit gar nicht so weit her ist. Über sein Öl darf Oslo noch selbst bestimmen. Doch aufgrund der Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum EWR hat sich Norwegen faktisch dem innerhalb der Europäischen Union geltenden ökonomischen Regelwerk unterworfen. Vom christdemokratischen Regierungschef über die sozialdemokratische und sozialistische Opposition bis zum Rechtsaußen Carl I. Hagen hat das offene oder vorsichtige Nachdenken über ein Ob und Wann des Anklopfens an der EU-Haustür begonnen.

Genau gesehen ist mittlerweile nur die Partei der Bauern, das Zentrum, als einzige Parlamentspartei übrig geblieben, die das Nein-Fähnchen entschlossen schwenkt. Tatsächlich sind es die enormen norwegischen Landwirtschaftssubventionen, bei denen Oslo noch am weitesten von der EU entfernt steht. Die Frage aber, ob nun die Bauern oder Bush wichtiger sind, scheint im Augenblick eine Mehrheit eindeutig zu beantworten: Die Flucht vor George W. wiegt deutlich schwerer.

REINHARD WOLFF