Die Reform der Reform

Die Bremer Reformhausszene wird von einer expandierenden Kette aufgemischt. „Hell und groß“ ist das Konzept, mit dem Reformhäuser der Bioladen-Konkurrenz paroli bieten wollen. Eine Anbieterin hat eine Miederwarenabteilung angeschlossen

Mit den BSE und MKS-Schlagzeilen verebbte 2001 der Reformhaus-Boom wieder.Die hellen, neuen Reformhäuser umwerben die Bioladen-Klientel.

taz ■ „ReformhausReformhaus“ zieht es am Straßenbahnfenster vorbei. Keine Spiegelung: Auf dem Ostertorsteinweg gibt es tatsächlich zwei Reformhäuser, fast Tür an Tür. Das Traditionshaus führt ein alt eingesessener Bremer Kaufmann: Helmut Zorn, Vorsitzender des Einzelhandelsverbands Nordsee und einst Gebieter über neun Reformhäuser. Heute sind es noch zwei, im Viertel und in Oberneuland, und die kämpfen auch ums Überleben. Nicht selten sind die Regale in dem etwas altmodischen Geschäft mit der leicht rustikalen Anmutung nahe des Sielwallecks halb leer. Zorn nennt sich selbst einen konservativen Geschäftsmann. Er gibt das Geld aus, wenn es da ist. „Wir hatten Probleme“, gibt Zorn zu, „aber das ist vorbei.“

Seit vorgestern hat er ein neues Problem: Keine dreihundert Meter entfernt hat sich die Konkurrenz niedergelassen. Lothar Ebken hat an einem Tag gleich zwei neue Filialen eröffnet, die andere im Walle Center. Das waren die Glieder Nummer 20 und 21 in seiner kleinen Kette. Das Wort hört er nicht so gern. „Wir sind ein Familienbetrieb geblieben“, sagt der 41-Jährige, der die Firma geerbt hat. Immerhin mit einer Ausdehnung von Bremen bis zur holländischen Grenze. In Bremen gibt es nun fünf Ebken-Reformhäuser.

Licht und Luft waren einst die Kampfbegriffe, mit denen die Lebensreformbewegung gegen die Schattenseiten der frühen Industrialisierung zu Felde zog – nur in den eigenen Verkaufsstellen war davon häufig nichts zu spüren. Ebken hat sich darauf zurück besonnen und sie zur Leitlinie seiner Geschäfte gemacht: Hell sind sie, übersichtlich und ansprechend. Und das Sortiment hat er ein wenig in Richtung Bioladen geöffnet. Damit wird die Lebensmittelpalette, die in Reformhäusern knapp 60 Prozent des Umsatzes ausmacht, erweitert. „Aber wir verkaufen immer noch zu 85 Prozent Neuform-Produkte“, sagt Ebken. „Neuform“ – das ist das Exklusiv-Label der Reformhaus-Genossenschaft, der fast alle Reformhäuser in Deutschland angehören. Die Hersteller werden vom genossenschafts-eigenen Labor zertifiziert und laufend kontrolliert. Die Maxime: Alles muss so naturbelassen wie möglich sein. Keine Zusatzstoffe, alle Öle kalt gepresst, keine Tierversuche.

Ebken ist so was wie ein Trendsetter unter den rund 2.300 Reformhäusern in Deutschland. „Die Tendenz geht zu größeren Häusern mit breiterem Sortiment“, sagt Birgit Blome, Sprecherin der Genossenschaft. Und zu Ketten: Unternehmen mit 30, 40 Häusern sind heute keine Seltenheit mehr. So erklärt sich, dass die Zahl der Reformhäuser leicht rückläufig ist, der Gesamtumsatz aber steigt. Das Ergebnis des Boom-Jahres 2001 werden die Reformhäuser wohl trotzdem nicht so schnell einstellen: BSE und die Maul- und Klauenseuche brachten einen Boom, der nach Verschwinden der Schlagzeilen allmählich wieder abebbte. Damals begann die Genossenschaft sogar ein Experiment mit Bio-Fleisch – ein Schlag gegen die Ideen der Lebensreform-Bewegung, zu deren Prinzipien seit über 100 Jahren der Vegetarismus gehört. „Wir haben kurz überlegt, da mit zu machen“, sagt Ebken, „uns aber schließlich entschieden, das vegetarische Fachgeschäft zu bleiben.“

Anders beim Alkohol, dem die frühen Reformkost-Fans ebenfalls den Kampf angesagt hatten: Im neuen Laden im Viertel wird es Bio-Weine geben. Neben der klassischen Reformhaus-Klientel – „ältere, gebildete Leute mit besseren Einkommen“ – peilt Ebken junge Familien als Zielgruppe an, die bislang eher in Bioläden einkaufen.

Zorn beobachtet die neue Konkurrenz nicht ohne Argwohn: „Als ich Ebken das Geschäft in der Hamburger Straße verkauft habe, hat er in den Vertrag geschrieben, dass ich im Umkreis von 30 Kilometern kein neues aufmachen darf – und jetzt sitzt er hier nebenan.“ Aber aufgeben will der große alte Mann der Branche nicht: „Wir haben schon Schlimmeres durchgestanden – zum Beispiel als die Drogenszene noch bei uns in der Eingangstür hockte.“ Der 69-Jährige will sich aus der ersten Reihe allerdings zurückziehen, seine Geschäfte noch in diesem Jahr an seine Töchter übergeben. Und als Verbandschef wird er ebenfalls ausscheiden: „Ich habe vor 15 Jahren selbst durchgesetzt, dass für den Vorsitz niemand über 68 antreten darf.“

Unter den 21 Bremer Reformhäusern gibt es eine bemerkenswerte Geschäftsverbindung: Ulrike Franzius betreibt in der Wachmannstraße ein Reformhaus mit angeschlossenem Miederwarenhandel. Eine Kombination, die man bei der Genossenschaft in Oberursel mit gemischten Gefühlen sieht: „So was passt eigentlich eher in ländliche Gebiete, wo sich ein Reformhaus allein nicht tragen würde.“ Da kommt es auch her: Franzius hatte ihr Geschäft zunächst in Ritterhude eröffnet und wechselte dann nach Bremen. Hier schätzen vor allem reifere Damen das zusätzliche Angebot. „Aber noch ist das eher ein kleines Zubrot“, sagt Franzius. Die Dessous-Abteilung will sie aber ausbauen. Jan Kahlcke