Mein Onkel, der Pathologe

Alles begann mit einer Taufe: Emeka Okereke war zunächst der Fotograf seiner Familie in Nigeria, bevor er zum Studium nach Paris ging. Das Heimatmuseum Neukölln zeigt seine „Unspoken Heroes“

VON FRANKA NAGEL

„Coincidence“, dieses Wort benutzt Emeka Okereke ziemlich oft. „Nichts ist nur Zufall“, sagt er, lehnt sich breitbeinig im Aluminiumstuhl, auf dem er sitzt, zurück und blickt durch die dunklen Gläser seiner Brille. Mit seinem goldenen Armreifen und dieser Sonnenbrille, die er einfach nicht abnimmt, will er nicht so recht in eine Kreuzberger Bioeisdiele passen. Doch hier sitzt er, nippt an der Bionade, die er als Ersatz für die bestellte Fanta bekommen hat, und redet von seiner aktuellen Ausstellung, zu deren Eröffnung er nach Deutschland gekommen ist.

„Unspoken Heroes“ heißt Emeka Okerekes gezeigte Fotoserie, namengebend auch für die Ausstellung, die derzeit im Atrium des Museums Neukölln zu sehen ist. Die Fotografien porträtieren Okerekes Onkel Dr. Kennedy Okereke, einen in Lagos lebenden Pathologen. Der Fotograf begleitete ihn bei seiner Arbeit in der Leichenhalle und bei privaten Momenten: Dr. Kennedy Okereke, wie er Leichenteile seziert, wie er in einem Café breit in die Kamera grinst, wie er am Bett kniend den Rosenkranz betet.

Kurz nachdem Emeka Okereke die Arbeiten mit seinem Onkel beendet hatte, kam der Pathologe 36-jährig bei einem Autounfall ums Leben. Schockiert flog Okereke von Paris, wo er zu dieser Zeit lebte, zur Beerdigung – und fotografierte weiter. Er dokumentierte das Begräbnisritual seines Onkels und den Abschied der Familie. So entstand ein Porträt, das seinen Protagonisten bis zur Grablegung begleitet.

Der Neffe fotografierte aus ganz verschiedenen, oft ungewöhnlichen Blickwinkeln: mal aus starker Untersicht, mal aus der Vogelperspektive, mal ist sein Objekt unscharf im Hintergrund zu erkennen, mal hart frontal abgelichtet. Die Fotoserie wird dadurch bedeutungsschwer und aufgeladen, bekommt etwas Unwirkliches, ist aber nie pathetisch. Sie besteht zum Großteil aus Schwarzweißfotografien, so wie die Mehrzahl von Okerekes Bildern.

„Als sich herausstellte, dass ich die letzte Lebenszeit meines Onkels begleitet hatte, war ich zuerst total perplex“, sagt Emeka Okereke. Er schweigt und wartet, bis ein BVG-Bus vorbeigefahren ist. „Aber auch das war mehr als nur Zufall“, fügt er hinzu. Okereke nahm einige der Fotografien, die er von seinem Onkel gemacht hatte, zur Beerdigung mit nach Nigeria und stellte sie dort aus. „Es war seltsam, in dem kleinen Ort, in dem mein Onkel begraben wurde, eine Ausstellung zu machen. Aber viele der Dorfbewohner waren sehr berührt. Bei dieser Beerdigung begriff ich, dass Fotografie ein Symbol für ein Leben nach dem Tod sein kann.“ Und so schreibt er über das Wesen der Fotografie auf seiner Homepage, sie sei „ein Weg, vergangene Zeit wiederzuleben“.

Über die Extravaganz, während einer traditionellen nigerianischen Beerdigung eine Ausstellung zu zeigen, wunderte sich aus Okerekes Familie niemand so richtig. Denn als Sonderling galt Emeka Okereke schon immer in seinem Heimatort. „Ich weiß auch nicht, warum, aber irgendwie befand ich mich immer auf der anderen Seite dessen, was als ‚normal‘ galt.“ Abergläubische Nachbarn hätten sogar gemunkelt, er sei „irgendwie verflucht“.

Geboren wurde Emeka Okereke vor 28 Jahren in Aba, einer Stadt östlich des Nigerdeltas in Nigeria, wo er zusammen mit neun Geschwistern bei seinem Vater und einer Stiefmutter aufwuchs. Seine erste Kamera bekam er mit 18 Jahren in die Hand – eine Einwegkamera, mit der er zur Taufe seines Halbbruders fotografieren sollte.

Okerekes Gesichtszüge werden weicher, als er sich erinnert. Seine Hände hätten gezittert, als er die Negative in Empfang genommen habe, erzählt er. „Mit einem Teil des Geldes, das ich für die Entwicklung der Fotos bekommen hatte, war ich nämlich schon mit einem Freund Bier trinken gegangen.“ Doch die Fotos waren so gut, dass er neue Aufträge von Verwandten und Bekannten bekam. Dass alles sei Fügung gewesen, sagt Emeka Okereke wieder, lehnt sich noch einmal in seinem Aluminiumstuhl zurück und schlägt ein Bein über das andere.

Zwei Jahre nach seinen ersten Fotoerlebnissen mit der Einwegkamera sah Okereke bei einem Freund ein Foto des nigerianischen Fotografen Uchechukwu James-Iroha. Daraufhin fuhr er nach Lagos, wo dieser lebte und fing bei ihm als Assistent an. 2003 dann wurde er beim Afrikanischen Fotografiefestival in Bamako, der Hauptstadt von Mali, als bester Nachwuchsfotograf ausgezeichnet. Er bekam ein Stipendium für einen sechsmonatigen Parisaufenthalt. Inzwischen studiert er dort an der École des Beaux Arts Fotografie und Medienkunst, hatte Ausstellungen in ganz Europa. Außerdem ist Emeka Okereke einer der Mitorganisatoren des „Lagos Photo Fest“, das 2009 zum ersten Mal stattfinden soll.

Als ich ihn zum Ende des Gesprächs frage, woher er seine Sonnenbrille habe, grinst er, greift an die Brille – und nimmt sie ab. „Ich schütze meine Augen, denn sie sind das Wichtigste, das ich habe“, sagt der Fotograf. Nun wirkt er doch ein wenig pathetisch. Doch dann fügt er hinzu: „Das war nur halbernst gemeint.“

Heimatmuseum Neukölln, Ganghoferstr. 3, Di–So 10–18 Uhr, bis 26. Oktober