Aus der Trommel fließt ein rotes Tuch

Zusammenbrüche und Zärtlichkeiten, Schmerz und Lust, die Wucht der Pornografie und Gegner, die noch da sind, aber nicht mehr so deutlich zu erkennen: Das Arsenal zeigt Filme der österreichischen Medienkünstlerin Valie Export aus drei Jahrzehnten

von MADELEINE BERNSTORFF

Valie Exports öffentliche Performance „Tapp- und Tastkino“ ist 1968 ein Bildersturm: Dem Primat des Visuellen setzt sie das Taktile entgegen. Freundlich liefert sie dafür ihre eigenen Brüste in einem kleinen Kasten der Berührung von Passanten aus, behält aber die Kontrolle über die Zeit. Ein junger Mann geht nach der Tastvorführung hängeschultrig davon. „Die Vorführung findet wie stets im Dunkeln statt. Nur ist der Kinoraum etwas kleiner geworden. Die taktile Rezeption steht gegen den Betrug des Voyeurismus“, sagt die Künstlerin.

Im Arsenal sind nun Valie Exports Filme mit eingefügter Körperkunst zu sehen, außerdem einige selten gezeigte Fernsehdokumentationen. Die unendliche Verweisstruktur zwischen ihren Filmen und ihren anderen Künsten lässt sich im Grunde nur im Pendeln zwischen der Ausstellung in der Akademie der Künste und dem Filmprogramm wirklich fassen.

Zwei frühe Kurzfilme handeln von Schmerz und Lust: „Remote … Remote …“ (1973) wollten in den 70er-Jahren einige an einem positiven Selbstbewusstsein strickende Damen nicht so gerne sehen. Vor einem Foto misshandelter Kinder aus dem Wiener Polizeiarchiv schnitzt Export mit einem Teppichmesser an ihrer Nagelhaut, bis das Blut kommt – in einer Schale mit weißer Milch wird es dann weggewaschen. „Mann & Frau & Animal“ aus demselben Jahr ist ein Film, der alles Pornografische auf seinen Warencharakter zurückführt und der Wucht des Anblicks des weiblichen Genitals nichts mehr hinzufügen muss. Als Objekt, auf das sich die Zooms der Kamera pornogleich fokussieren, dient die Badewannenarmatur, es heißt, Valie Export habe sich einen pornofilmerfahrenen Kameramann gedungen. Auf ihrem Bein ist der Strumpfhalter eintätowiert „als Zeichen einer vergangenen Versklavung“, er stammt aus einer Körperaktion von 1970.

Die Handlung von „Unsichtbare Gegner“ (1976) ist ein Zustand: ein psychischer Zusammenbruch und eine kollabierende Zeichenstruktur. Michelangelos Pietá wird zur Strickenden Madonna, oder zur Geburtenmadonna, die im geblümten Rock mit weit gespreizten Beinen und angemessen gesenktem Blick auf der Waschmaschine sitzt, aus der geöffneten Trommel fließt ein rotes Tuch. Die gepeinigte Protagonistin zieht sich mit Schlittschuhen ins Bett zurück, packt sich richtig warm ein. Die Kamera verlässt den Raum, bewegt sich langsam aus dem Fenster und gewinnt einen weiten Überblick über die Stadt Wien, in der „Unsichtbare Gegner“, so genannte Hyksos, die Erde in Besitz nehmen. Der Film wurde in kurzer Zeit zum geschäftlich erfolgreichsten „neuen österreichischen Film“. In „Menschen-Frauen“ (1979) erklettert die Protagonistin einen Strommast, um dann einen spektakulären Hochspannungs-Selbstmord zu begehen. Die Zeitschrift Frauen und Film war damals nicht so zufrieden damit. „Bedeutungsschwanger“, hieß die Überschrift. Ein Beziehungsfilm!

All die Fallstricke des frauenbewegten Differenzfeminismus scheinen hier großflächig angelegt. Wie diese unterstellten Mutterschaftsapotheosen, dieser Brüterinnenkitsch jetzt wohl wirken? Ist da nicht doch viel mehr Ironie am Werk? Vier Frauen umkreisen die „prototypisch mittelalte, mitteldicke, mitteldümmliche, mittelgerissene und mittelreuige versager-franzlfigur“ (Monika Funke), eine bringt sich um, eine wird überfahren, zwei werden schwanger und lieben sich anschließend mit leicht lesbophober Zärtlichkeit.

In den 80er-Jahren nimmt Exports Reflexion über visuelle Repräsentation neue Formen an. Konzeptionelle Fotografie sowie die analytische Arbeit der Fotokamera geht in „Syntagma“ (1983) ein. Die rot lackierten Fußnägel, die 80er-Jahre-Pumps, die mittelstrenge Schlabbrigkeit der Kleider verweisen auf das Öffentliche der Körper. Eine Deklination von Zweigeteiltheit, ohne in einfachen binaristischen Konstruktionen aufzugehen. Risse, die es erforderlich machen, Wirklichkeit und Repräsentation zusammenzudenken.

„Praxis“ (1984) untersucht vor dem Hintergrund einer Ehebruchgeschichte den veränderten öffentlichen Umgang mit Pornografie, zu einer Zeit, als die Pornokinos verschwanden, als man in Videoboxen und Peepshows von der reizvollen Möglichkeit solipsistischerer Bildlustzuführung Gebrauch machen konnte. Wie immer bei Valie Export ist es aber noch vielschichtiger: Der Film thematisiert Akte der Gegen-Überwachung (und ganz nebenbei eine österreichische Waffenschieberei). 1996 sagt Valie Export, die Gegner seien noch da, aber nicht mehr so deutlich zu erkennen. Im Jahr 2000 nimmt sie den staatlichen Kokoschka-Preis des Haiderlands Österreich nur an, um ihn dem Kunst-Projekt „Mediale Analyse faschistoider Politik“ zuzuführen.

Im Arsenal, Potsdamer Str. 2, Tiergarten. Termine siehe Programm