DIE ÄRZTE VERKAUFEN IHRE EIGENEN INTERESSEN ALS DIE DER PATIENTEN
: Doppeltes Spiel der Mediziner

Geschlossene Arztpraxen und „Dienst nach Vorschrift“ gegen einen „Systemwechsel, der den Patienten zu einem rein ökonomischen Objekt macht“. Dies klingt beinahe linksradikal und folgt doch dem altbekannten Ritual: Mediziner wollen eigene Klientelinteressen unter Verweis auf das vermeintliche Patientenwohl durchsetzen. Erfreulich, dass solchem Treiben nicht mehr alle Ärzte folgen.

Sicher beziehen Mediziner ihre Selbstbestätigung aus einem am Patientenwohl orientierten ärztlichen Ethos. Doch ein Ideal ärztlicher Tätigkeit, die in purer Gemeinwohlorientierung aufgeht, lebt nur in TV-Arztserien fort. Zwar ist bei vielen Ärzten der Wunsch zu helfen wichtig, im Alltag geht es jedoch auch um Geld, Karrierechancen und Konkurrenz. In den 90er-Jahren stieg die Facharztzahl um ein Fünftel. Mehr Ärzte aber verursachen mehr Kosten. Und fördern eine Ausrichtung auf Krankenbehandlung statt Krankheitsvermeidung. Dies gilt etwa für Herzkreislauferkrankungen: Akutmedizinische Hilfen werden ausgebaut, Prävention und Rehabilitation bleiben auf Alibiprojekte beschränkt. Die Medizin schafft sich selbst ihre Nachfrage. Und fördert eine Fixierung auf Krankheiten: Wer eine kardiologische Differenzialdiagnose durchläuft, wird auch bei bester Gesundheit die Sorge um sein Herz so schnell nicht los. Deshalb ist es sinnvoll, künftig jene zu belohnen, die erst ihren Hausarzt konsultieren. Dies könnte dem verbreiteten „Ärztespringen“ entgegenwirken: Wer bei unklaren Seitenschmerzen zum Internisten geht, wird dort unweigerlich mit einer „Ausschlussdiagnostik“ konfrontiert, selbst wenn der Urologe der richtige Ansprechpartner wäre. Auch die geplante zeitliche Begrenzung von Kassenzulassungen ist angesichts der medizinischen Fortschritts überfällig. So wird man künftig Medikamente und Therapien vermehrt auf die genetischen Besonderheiten des Einzelnen zuschneiden. Dies aber wird zu neuen Unübersichtlichkeiten führen, die ein Arzt nur bei einer Bereitschaft zu lebenslangem Lernen bewältigen kann.

Weit problematischer an den aktuellen Reformvorschlägen ist die Ausdehnung des Konkurrenzprinzips. Künftig sollen die Krankenkassen direkt mit ausgewählten Kliniken und Ärztegruppen Verträge schließen können. Mit maßgeschneiderten Angeboten und Ärzten, die nur auf unkomplizierte Fälle ausgerichtet sind, werden die Kassen dann noch stärker um zahlungskräftige und gesunde Kunden buhlen. Problematische und besonders hilfebedürftige Patienten wären hingegen für den Arzt wirtschaftlich uninteressant. Ein hier legitimer Medizinerprotest droht indes nur noch auf eine Öffentlichkeit zu treffen, die des doppelten Spiels der Ärzteschaft überdrüssig ist. HARRY KUNZ