nebensachen aus paris
: Mit dem Aufzug durch Frankreichs neue und alte Welten

Harmlose technische Begriffe eröffnen manchmal die Fahrt in gesellschaftliche Höhen. „Ascenseur“ – Aufzug – ist einer davon. Versuchen Sie es selbst bei Ihrem nächsten Frankreichaufenthalt: Werfen Sie das Stichwort in eine Runde und warten Sie einfach ab. Je nachdem, wen Sie als Gegenüber haben, werden Sie unterschiedliche Geschichten ernten.

Möglicherweise beginnt es dort, wo es am gruseligsten ist: beim Absturz. In dem Fall sprechen Sie nicht nur über die fatalen Ereignisse im Graben unter der Aufzugkabine, sondern zugleich über soziale Ungleichheiten. Denn Unfälle mit Aufzügen sind dort am häufigsten, wo die Wohntürme besonders ungemütlich sind. In den heißen Quartieren der Banlieue. Wenn Sie erneut auf das Thema drücken, kommen Sie vielleicht schon bei politischen Phänomenen an. Wer in Frankreich „den Aufzug zurückschickt“, revanchiert sich mit einer Gefälligkeit für einen Gefallen. Das Phänomen, das böse Zungen „Vetternwirtschaft“ nennen, grassiert. Gerade in der gegenwärtigen Elite ist es häufig.

Vielleicht erwartet Sie auch ein weiteres Symptom der Krise, für das es eine Aufzug-Metapher gibt: Der ins Stocken geratene „soziale Aufzug“. Über die Angst vor einem verklemmten Aufzug, in dem sie vergessen werden, können auch jene reden, die sonst keine Vernachlässigung befürchten. Irgendwann wird der Aufzug Sie mitten in das kleinbürgerliche Frankreich hineintransportieren. Und damit in die Krise der Marktwirtschaft. Denn am Aufzug zeigt sich, dass der freie und unverfälschte Wettbewerb nicht mehr funktioniert.

Nach mehreren spektakulären Unfällen hatte die französische Regierung per Dekret eine Runderneuerung aller Aufzüge im Land verordnet. Das war im Jahr 2004. Das Dekret enthielt klare technische Vorgaben, knappe Fristen und klang plausibel. Doch vier Jahre später, nach Ablauf aller Fristen, ist ein großer Teil der halben Million Aufzüge immer noch im alten Zustand.

Hunderttausende von KleineigentümerInnen haben zwischenzeitlich bei vier aufeinanderfolgenden Jahresvollversammlungen über die Renovierung ihrer Aufzüge diskutiert. Normalerweise bestimmen finanzielle Argumente den Ton in den Debatten der KleineigentümerInnen. Sie vergleichen konkurrierende Angebote. Und drehen jeden Cent dreimal um. Doch bei den Aufzügen gibt es weder etwas zu vergleichen noch eine Konkurrenz. Da teilen sich zwei Unternehmen den Markt. Für sie sind die halbe Million Zwangsaufträge ein Aufzug nach oben. Seit dem Dekret steigen ihre Preise ohne Halt, und ihre Auftragsbücher sind prall gefüllt. Statt über Preise diskutieren die KleineigentümerInnen im Falle der Aufzüge über Listen und Tücken, wie sie Unternehmen finden können, die ihnen Angebote machen, um ihre Anlage den Gesetzen anzupassen.

Sollten Sie noch einmal auf den Knopf drücken, bringt Ihr Gegenüber Sie vielleicht in einen „Aufzug für Verliebte“. Damit ist Ihre Rückkehr in das romantische Frankreich garantiert. Die winzigen, mit rotem Stoff bespannten Holzkabinen, die zwei Jahrhundertwenden überlebt haben und in den meisten anderen Ländern längst ersetzt worden sind, ächzen und knartzen sich in Frankreich weiterhin durch gußeiserne Gerüste nach oben. In ihrem Inneren bieten sie einen beglückend intimen Rahmen für erste Küsse. Und für lange Aufzugsgespräche in den Jahrzehnten danach. DOROTHEA HAHN