Rot-Grün – realistische Option?

Der Politikwissenschaftler Lothar Probst warnt die jetzige Opposition vor Blütenträumen vor der Bürgerschaftswahl. In ihrer gegenwärtigen Verfassung seien die Grünen kein ernst zu nehmender Koalitionspartner für die SPD

Selbst den Grünen nahe stehende Milieus glauben, dass eine Große Koalition zurzeit alternativlos ist

Auf der Wahlparty der Bremer Grünen am Abend der Bundestagswahl brach Jubel aus, als die Ergebnisse aus dem kleinen Bundesland bekannt gegeben wurden. Eine satte Mehrheit für Rot-Grün – das versprach einen verheißungsvollen Auftakt für die Bürgerschaftswahl im Mai 2003.

Bestärkt wurde die euphorische Stimmung durch Wahlforscher, die im Anschluss an den überraschenden Ausgang der Bundestagswahl eine strukturelle Mehrheit links von der CDU diagnostizierten. Dabei wurden allerdings zwei Dinge übersehen: erstens dass die Bundesrepublik ein föderales System ist (in der die Opposition in den Bundesländern und im Bundesrat häufig eine Mehrheit hat); zweitens, dass die Wähler im wahrsten Sinne des Wortes wählerischer geworden sind und ihre Stimme je nach Kontext und Situation unterschiedlich verteilen.

Selbst wenn das Bundestagswahlergebnis die Grünen in Bremen also zu einem gewissen Optimismus berechtigt und in der laufenden Legislaturperiode die Konflikte zwischen CDU und SPD sichtbar zugenommen haben, müssen die Grünen erst einmal die Wähler zurückgewinnen, die sie bei der letzten Bürgerschaftswahl verloren haben. 25.958 von vormals 44.977 Wählern (1995) gaben den Grünen 1999 ihre Stimme –7.000 Stimmen verloren sie an die Nichtwähler, 8.000 an die SPD, 1.000 an die CDU und einige hundert an die PDS.

Vor allem rot-grüne Wechselwähler müssten erst einmal davon überzeugt werden, dass eine Stimme für die Grünen eine Stimme für einen rot-grünen Senat ist – angesichts der Voraussetzungen (chronische Finanzknappheit, Schuldenberg, Stimmung für die Große Koalition) ein schwieriges Unterfangen.

Schon vor vier Jahren waren nur 17,5 Prozent der Wähler für eine rot-grüne Koalition. Die Grünen in Bremen haben in den vergangenen vier Jahren wenig dazu beigetragen, einen Stimmungswechsel herbeizuführen. Im Gegenteil: Pauschale Kritik am Sanierungskurs der Großen Koalition in öffentlichen Interviews, abwertende Äußerungen über Henning Scherf, wenig überzeugende Vorschläge, was die Grünen anders machen wollen, und eine Führungsspitze, die im öffentlichen Leben Bremens kaum Profil gewonnen hat.

Das Dilemma der Grünen ist, dass die Große Koalition in Bremen mehr als ein Bündnis aus SPD und CDU repräsentiert. Sie entspricht auch einer breiten gesellschaftlichen Koalition. Nicht nur Vertreter der Handelskammer, sondern selbst den Grünen im Prinzip näher stehende gesellschaftliche Milieus und Kreise glauben, dass eine Große Koalition zurzeit alternativlos ist – daran haben einzelne, zum Teil gravierende Fehler der Großen Koalition, wie das Musical-Desaster, nichts geändert. Mit den Grünen, so die weit verbreitete Meinung, würde die Aufbruchstimmung der letzten Jahre wieder verloren gehen. Es ist deshalb eine Illusion zu glauben, dass die Bremer Grünen in ihrer gegenwärtigen Verfassung und Orientierung ein ernst zu nehmender Koalitionspartner für die SPD und ihren unangefochtenen Spitzenkandidaten Henning Scherf sind.

Selbst wenn man unterstellt, dass Teile der SPD sich aus dem Bündnis mit der CDU lösen wollen, und obwohl auf dem Gebiet der „weichen“ Standortfaktoren (Bildung, Schulen, Kindergärten, Kultur) die Schnittmenge zwischen den Programmen der SPD und der Grünen groß ist, müssten die Grünen zunächst einmal eine öffentliche Kehrtwende vollziehen. Ohne ein klares Bekenntnis zu den bisherigen Erfolgen und zu einer Fortsetzung der Sanierungspolitik der Großen Koalition (Beispiele: Technologiepark Uni, Airport City, Hafenlogistik, IUB, Universum) ist die Hoffnung auf eine rot-grüne Koalition derzeit ein reines Sandkastenspiel.

Das schließt andere Akzentsetzungen für die Zukunft nicht aus. So müsste ein neues Investitionssonderprogramm, wie immer es ausgestattet sein wird, ein Bündnis für Arbeit, Ausbildung, Wissenschaft, Umwelt und Kultur sein – mit einem Schwerpunkt auf der Förderung innovativer kleinerer und mittlerer Betriebe. Darauf könnte sich auch die SPD einlassen.

Von den Grünen geht bisher zu wenig von dem „Wir in Bremen, Wir für Bremen“-Gefühl aus. Der Zweistädtestaat an der Weser verfügt über gute maritime Traditionen, ein motiviertes und qualifiziertes Arbeitskräftepotenzial, innovative Firmengründer, Unternehmen, die weltweit für Qualitätsprodukte bekannt sind. Und auch über eine führende Position in der Windenergiebranche, eine kreative Kulturszene, sich hervorragend entwickelnde Hochschulen, eine gute Bausubstanz, intakte Wohngebiete, touristische Highlights sowie eine stadtnahe Naturlandschaft. Wer Bremen sanieren will, muss diese Vorteile gemeinsam in die Waagschale werfen, ohne das eine gegen das andere auszuspielen. Aber die Politik kann nicht alles leisten, sondern es geht auch darum, Eigeninitiative und Eigenverantwortung zu fördern.

Bürgersolidarität und Selbsthilfe haben in Bremen eine lange Tradition, und nicht alles, was der Staat kann, muss auch der Staat machen. Dieser Gedanke gehörte einmal zu den ureigensten grünen Impulsen und findet sich heute in allen gesellschaftlichen Kreisen im Leitbild einer selbstbewussten Bürgergesellschaft wieder, die ihre Selbstorganisationspotenziale zu nutzen weiß. Davon zeugt die Vielzahl traditionsreicher und neu gegründeter Stiftungen mit gemeinnütziger Zielsetzung in Bremen, davon zeugen aber auch die Aktivitäten der Bremer Freiwilligenagentur sowie vieler Selbsthilfegruppen, die in den siebziger Jahren entstanden sind.

Eine rot-grüne Koalition mit einem grünen Koalitionspartner, der sich zu diesen Stärken bekennt, die vorhandenen Impulse aufgreift und Politik konstruktiv gestalten will, würde viel von dem Schrecken verlieren, den sie in manchen Bremer Kreisen gegenwärtig auslöst.

Aber selbst dann blieben zwei Probleme: Wer sollte die Grünen im Senat vertreten, und wer könnte in der zukünftigen Fraktion für Stabilität, Verlässlichkeit, Belastbarkeit und Stehvermögen sorgen, wenn es zu Einschnitten käme, die auch grüne Klientelinteressen berühren würden?

Aus der jetzigen Führungsriege der Bremer Grünen, das kann man getrost selbst bei wohlwollenden Sozialdemokraten unterstellen, gilt niemand für senatorabel. Die Grünen müssten also zu erkennen geben, dass sie Trumpfkarten von außen im Ärmel haben – wenn nicht die Ausländerbeauftragte Marie-Luise Beck, dann zumindest Persönlichkeiten von einem ähnlichen Kaliber.