Komplett abgestumpft

Sprachlos aneinander vorbeihuschen: Mursas „Nach Bayeux“ in Neuen Cinema zelebriert die Depression

Ohne Sprache stirbt die Liebe. Schon das Alphabet ist dem starren Olz abhanden gekommen. Seiner Frau Maisch bleibt nur die Glotze als Gesprächspartner, die sie von einem hölzernen Sitzmöbel aus anstarrt. Wie Erinnerungsfetzen quälen sich an der klinisch weißen Wand hinter ihr Worte mit letzter Kraft über ein Laufband. Ein ganzes Wörterbuch. Am Ende des Abends wird es immer noch bei A sein.

Dazwischen liegen 55 Minuten nackter Ehehölle in der Uraufführung von Daniel Mursas Nach Bayeux, die Benjamin Walter im Neuen Cinema einrichtete. Ein wenig schockiert es schon, dass ein so junger Mensch in seinem ersten Stück ausgerechnet ein Ehedrama fabriziert. Vorführt, wie Maisch wirrvon einem unsichtbaren kleinen Mädchen namens Rosa faselt und am Schluss Olz ein grausames Geheimnis enthüllt.

Der Stücktext hat nicht die verbale Schärfentiefe eines Jon Fosse, ist aber ein ansehnlicher Versuch des 24-jährigen Autors. In Walters Regie stellt Edith Adam als Maisch eine fast schon hysterische Geschwätzigkeit zur Schau. Sätze wie „Manche Leute ändern sich, und die sehen dann auch ganz anders aus, wenn sie sich geändert haben“, wollen erst gar keinen Hintersinn vorgeben. Im langen Abendkleid umweht Maisch ein Hauch Exzentrik. Ständig ist sie in Bewegung, holt Kaffee oder wälzt sich am Boden. Der blasse Olz dagegen (Kai Hufnagel) brabbelt lange Unverständliches vor sich hin. So einer ist froh, wenn er in den Baumarkt geschickt wird. Seine Maisch küsst er schon lange nicht mehr, obwohl sie sich danach sehnt. Zu Besuch kommt Barbara, Maischs Schwester, bei Agniezska Piwowarska eine Sehschwache mit Sonnenbrille, die um die Ecken schleicht. Es deutet sich an, dass sie für Olz mehr als nur Schwägerin ist. Maisch erzählt Barbara von Rosa, jenem Mädchen, das sie einst am Strand von Bayeux mit Olz sah – und das auf einmal verschwand.

Da bringt Olz ein kleines Mädchen nach Hause. Er „schenkt“ es seiner Frau. Sie nennen es Rosa und beginnen ein gekünsteltes Familienleben mit ihr, das der Text unnötig lange auswälzt. Ob Rosa jemals existiert hat, ein totes Kind oder eine Wahnvorstellung Maischs ist, bleibt bis zum Schluss ein Rätsel. Mursa dient sie als zuweilen arg verklausulierte Folie, um die Schuldgefühle und den Hass einer gänzlich abgestumpften Liebe zu zeigen, deren einzige Hoffnung auf Besserung in ihrem vollzogenen Ende liegt. Annette Stiekele

nächste Vorstellungen: 18.+20. 1., 20 Uhr, Neues Cinema