„Such mit Guhgl.“ – „Hä?“

Am 7. September 1998 wird in Menlo Park nahe San Francisco das Unternehmen Google gegründet. Ob man die Internet-Suchmaschine nun für gut oder böse hält, eines eint beide Lager: Jeder benutzt Google. Mathias Bröckers sogar von Anfang an

Die Bezeichnung Google basiert auf einem Wortspiel (manche Quellen sprechen auch von einem Rechtschreibfehler) mit der amerikanischen Aussprache des Wortes googol. Milton Sirotta, der Neffe des US-amerikanischen Mathematikers Edward Kasner, hatte den Ausdruck im Jahr 1938 erfunden, um der Zahl mit einer Eins und hundert Nullen (10[100]) einen Namen zu geben. Larry Page und Sergey Brin wiederum, die das Unternehmen Google Inc. mit Sitz in Mountain View (Kalifornien) am 7. September 1998 gründeten, suchten eine treffende Bezeichnung für die Fülle an Informationen, die ihre Suchmaschine im Web finden sollte.

I

Es war wieder mal eine dieser Nächte, die wir dem Dämon „Windows NT“ und seinem Oberteufel Bill Gates zum Opfer bringen mussten. Seit Stunden versuchten mein (viel zu früh verstorbener) Computerfreund Jochen und ich, ein Netzwerk aus einem halben Dutzend Rechnern zum Laufen zu bringen. Ob es irgendein Treiber oder eine Dokumentation war, die ich dafür vergeblich im Internet suchte, weiß ich nicht mehr, aber irgendwann sagte Jochen: „Such mal mit Guhgl. Ist jetzt ganz neu. G, Doppel-O, G,L,E, dot, com.“

Und Google fand, was wir suchten. Das Netzwerk lief dann zwar noch immer nicht – in den hintersten Untereinstellungen irgendeines vorletzten Submenüs fehlte noch irgendein idiotisches Häkchen –, aber mit Google brach ein neues Zeitalter an.

Auch Altavista, die beste Suchmaschine der Prä-Google-Ära, war ja durchaus nicht zu verachten, aber Google fand mehr und fand schneller, und: Google war clean. Dieses puristische Outfit, das weiße Blatt mit dem simplen Suchfeld, die strikte Einhaltung des Design-Prinzips „form follows function“ war 1998, als die ersten Blüten des Kicki-klicki-bunti-Internets richtig zu nerven begannen, geradezu revolutionär. Der Verzicht auf Schnickschnack, die ergonomische Reduktion aufs Funktionieren, zeichnet jedes gute Werkzeug aus – und weil Google einfach funktionierte, wurde es wie von selbst zum globalen Suchwerkzeug schlechthin.

„Die Werkzeuge arbeiten mit an unseren Gedanken“, hatte einst Friedrich Nietzsche notiert, der erste Philosoph, der auf einer Schreibmaschine schrieb. Zu welchen Anteilen Nietzsches brachiale „Philosophie mit dem Hammer“ den martialischen Schreibwerkzeugen geschuldet ist, mit denen er seine Gedanken zu Papier brachte, darüber kann heute nur spekuliert werden. Sicher indessen ist, dass, seit Google aus dem Nichts zum Weltstandard des Suchwerkzeugs wurde, die Suchwerkzeuge an den Gedanken aller mitarbeiten, die mit Lesen und Schreiben zu tun haben. Wäre unser Bildungssystem nicht immer noch Prägungen des vorvorigen Jahrhunderts verhaftet, müsste in den Grundschulen nach Lesen und Schreiben als drittes Hauptfach Googeln unterrichtet werden.

Wenn im Internet das Archiv, das Gedächtnis, das Wissen der Welt gespeichert ist, ist Ausbildung im Suchen erste Bildungspflicht. Doch für die Schulen und Universitäten entstand angesichts aus dem Netz kopierter Haus- und Diplomarbeiten eher ein Problem, dessen die Lehrkräfte erst Herr wurden, als sie genauso gut googeln lernten wie ihre Schüler, die es sich selbst beigebracht hatten.

II

Wenn man die Zeit der ersten Pioniere des Silicon Valley seit Ende der 1950er-Jahre als die Steinzeit nimmt, in der die monströsen „Elektronenrechner“ der Vorzeit klein und personalisiert gedacht und handhabbare Geräte wie die Maus erfunden wurden; und die Phase der ersten Apple-Computer und Microsoft-PCs in den 80er-Jahren als klassische Periode; dann hat mit der Verbreitung der Netzwerke und des Internets die Moderne des Computerzeitalters begonnen. Und die ersten Suchmaschinen, die ab 1998 dann alle von Google überrollt wurden, sorgten für den notwendigen Popularisierungs- und Demokratiesierungsschub. Plötzlich musste man, um Informationen aus dem Internet zu erhalten, nicht mehr kryptische DOS-Befehle beherrschen oder irgendwelchen Newsgroups beitreten, man musste kein Spezialwissen mehr mitbringen. Um in die weite wilde Welt des Webs aufzubrechen, reichten Google und ein Suchwort – und es eröffnete sich ein Recherche-Paradies.

Als Redakteur der taz wurde man Anfang der 1980er-Jahre öfter als High-Tech-Avantgardist bestaunt, wenn man das Olivetti-„M 10“ auspackte. Dieser frühe Vorgänger heutiger Notebooks erlaubte über ein winziges Display nicht nur die Eingabe von Texten, sondern auch ihre Übertragung. Dazu wurde über einen normalen Telefonhörer ein wuchtiger „Akustik-Koppler“ gestülpt, der die Daten dann mit Krächz- und Pfeiftönen auf den Server in der Redaktion übertrug. Sensationell zu einer Zeit, als die Großmedien auf Pressekonferenzen noch mit Spiralblock und Kuli auftauchten, doch lief auch diese Kommunikation nur in eine Richtung. Immerhin: Über ein Modem, das 1,2 Kilobyte Daten pro Sekunde übertrug – also etwa im Tempo einer Buschtrommel im Vergleich zum heutigen DSL –, konnte man damals schon die Ticker der Nachrichtenagenturen zu Hause empfangen. Auch nur ein Tropfen verglichen mit der ungeheuren Masse an Informationen, die heute abrufbar sind, aber so fing alles an – noch weit entfernt von dem Paradies der Recherche, das sich mit der Ausbreitung des Webs und dem Auftauchen von Google eröffnete. Wer Ende der 90er einen Rechner mit Internetanschluss besaß, verfügte damit über ein Werkzeug der Informationsbeschaffung, dessen Macht zwei Jahrzehnte zuvor noch durch Hochsicherheitsvorkehrungen geschützt werden musste; was zuvor ganze Stäbe von Geheimdienstmitarbeitern in Kleinarbeit zusammentragen mussten, konnte nun der einzelne Privatmensch in wenigen Stunden recherchieren. Um Daten, Fakten, Hintergründe über ein Land, eine Firma oder eine Person zu finden, musste man nicht mehr Bibliotheken, Spezialverzeichnisse und Lexika konsultieren, zumindest für einen Überblick reichten meist schon ein paar schnelle Google-Klicks.

Als ich am Nachmittag des 11. September 2001 nach einem Anruf über die Ereignisse in New York die Arbeit an einem Buch über Verschwörungstheorien unterbrach und CNN einschaltete, wurde schon nach einer halben Stunde Ussama Bin Laden als Täter genannt. „Verschwörungstheorien reduzieren komplexe Zusammenhänge auf einen einfachen Sündenbock“, hatte ich gerade notiert, und nachdem sich Ussama am nächsten Tag auf allen Kanälen zu einem gebetsmühlenartig wiederholten Mantra entwickelt hatte, gab ich den Namen bei Google ein und stieß auf den Artikel „Who is Osama Bin Laden?“ von Michel Chossudovsky. Und auf Informationen, die auf den großen TV-Kanälen nicht zu bekommen waren, etwa über die kollegiale Zusammenarbeit von USA, Nato und „Al-Qaida“-Terroristen im Kosovokrieg oder die „Taliban“ als Geschöpfe des pakistanischen CIA-Partners ISI.

Der erwachte journalistische Jäger- und Sammlerinstinkt machte googeln fortan zu meinem Tagesgeschäft, und die Ergebnisse, die ich in kurzen Abständen im Onlinemagazin „Telepolis“ veröffentlichte, wurden millionenfach gelesen.

Bevor sie im Juni 2002 als Buch erschienen, forderte mich der Verlag auf, den Lesern dringend noch Google zu erklären. Die Überschrift des kleinen Sondervorworts, „Zweimal täglich googeln“, scheint heute eher peinlich, doch vor sechs Jahren musste man den Bewohnern der Gutenberg-Galaxis noch mit einfachen Worten nahebringen, wie dieses Werkzeug zu benutzen ist. Mittlerweile ist das völlig selbstverständlich. Und im Sinne der Erfinder sogar schon zu selbstverständlich: Seit 2006 versucht die Firma Google dem Schicksal von „Tempo“ und „Tesa“ zu entgehen und die Verwandlung ihres Markennamens in einen Gattungsbegriff zu verhindern. Das Verb „googeln“ soll nicht zum Synonym für allgemeines Suchen im Internet werden, sondern, so der „Duden“ in seiner jüngsten Auflage, „mit Google im Internet suchen“.

III

Dass die beiden Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page als Kinder reformpädagogische Einrichtungen besuchten und als Jungmilliardäre wohl der Traum aller Eltern sind, hat noch nicht zu einem Run auf Montessori-Schulen geführt. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass man Google als Gegenkonzept zur „Polarisation der Aufmerksamkeit“ der italienischen Pädagogin sehen könnte, denn Google bedeutete Diversifizierung der Aufmerksamkeit. Auch wenn mittlerweile ganze Branchen versuchen, sich mit Suchmaschinenoptimierung in der Google-Anzeige nach oben zu manipulieren, lebt und gedeiht Google deshalb, weil es aus der nahezu unendlichen Vielfalt des World Wide Web auf mein Suchwort hin immer noch eine Vielfalt herausfiltert – und keinen Einheitsbrei aus Mainstream und Kommerz. Dass schon die schiere Größe und Marktmacht von Google dafür sorgen wird, dass dieser Brei mehr und mehr wird, dass sich die Firma in China und anderswo auf Zensur-Kompromisse mit Regierungen einlässt, dass niemand wirklich weiß, wie viel NSA, CIA und andere Dienste auf den Google-Servern abzapfen oder manipulieren?

Auch kritische Google-Watcher, die solche Thesen vertreten, benutzen natürlich Google, denn kein Konkurrent, auch solche, die mit viel Geld und Getöse gestartet sind, konnte Google bisher das Wasser reichen. Das kann man beklagen oder aber schlicht feststellen, dass sich Gutes eben durchsetzt. Bis es von Besserem abgelöst wird. Und bis dahin werden wir googeln.

MATHIAS BRÖCKERS war von 1980 bis 1991 taz-Kulturredakteur. Seitdem ist er (Bestseller-)Autor und berät die taz seit 2006 bei ihrer Online-Entwicklung.