Viel Gesprächsbedarf

An der ehemaligen Schule der getöteten Morsal O. diskutieren Lehrer und Eltern mit Vertretern von Behörden und Religionen darüber, wie Gewalt im Namen der Ehre verhindert werden kann

von ROBIN RIEPRICH

Die Aula der Ernst-Henning-Schule in Bergedorf ist gut gefüllt. Einige Eltern der Schüler sind gekommen, Menschen aus dem Stadtteil und Lehrer der Grund-, Haupt-, und Realschule. Jemand hat Brötchen geschmiert, die Eltern begrüßen einander freundlich. Nur ein blumengeschmücktes Foto auf der Bühne der Pausenhalle weist auf den traurigen Anlass der Zusammenkunft hin.

Das Bild zeigt Morsal O., ehemalige Schülerin der Schule, die im Mai von ihrem Bruder umgebracht worden war, weil er ihren westlich geprägten Lebensstil ablehnte. Nachdem getrauert wurde, Fassungslosigkeit und Verunsicherung herrschten, möchte die Schule nun auch nach außen hin mit der Verarbeitung der Gewalttat beginnen.

Unter dem Motto „Miteinander leben heißt miteinander reden“ diskutierten am Donnerstag Vertreter der Schulbehörde, des Bezirksamtes sowie ehemalige Lehrer der Geschwister O. Außerdem sitzen Vertreter muslimischer Organisationen und ein evangelischer Pastor auf dem Podium.

Regine Hartung vom Landesinstitut für Schulentwicklung spricht vom „Beginn eines interkulturellen und interreligiösen Dialogs“, und ein Türkischlehrer stellt fest, der wichtigste Schritt, um den Mord zu verarbeiten, sei, das Verstehen der jeweils anderen Seite. Eine Mitarbeiterin der Behörde spricht unsicher von „verschiedenen Welten“.

Etwa 30 Prozent der Schüler der Ernst-Henning-Schule haben einen Migrationshintergrund, die Schule liegt zwischen Villenviertel und einfachen Wohnblocks. Moderatorin Beate Proll fragt, ob die Religion eine mögliche Ursache für die Gewalt sei. „Der Islam legitimiert keine Gewalt“, sagt Özlem Nas von der Muslimischen Frauengemeinschaft und zitiert entsprechende Verse aus dem Koran. Ein iranischer Lehrer aus Mümmelmannsberg, der dort auch Morsals Bruder unterrichtete, sagt darauf, der Glauben werde benutzt um Kinder einzuschränken.

Immer wieder wird deutlich, wie groß die Verunsicherung bei dem sensiblen Thema nach wie vor ist. Ein Lehrer erzählt den schockierten Eltern in den Zuschauerreihen, einige seiner Schüler hätten durchaus Verständnis für die Tat gehabt. Und keiner aus der Runde ist optimistisch genug, die Frage zu bejahen, ob ähnliche Fälle in Zukunft verhindert werden können.

Ob die Gefahr von Gewalt in muslimischen Familien etwas mit deren Bildungsstand zu tun habe, möchte eine Mutter wissen. Ein Lehrer verneint und weist darauf hin, dass Morsals Familie durchaus der Mittelschicht zuzuordnen sei. Ein Vater möchte anmerken, dass jegliche Gewalt, egal ob von Muslimen oder nicht, verabscheuungswürdig sei, ein weiterer lädt die Gäste zum wöchentlichen Koranunterricht ein. Gesprächsbedarf gibt es genug – weitere Veranstaltungen sollen folgen.