Wenn auch die beste Medizin versagt

Bücher wie „77 Tipps gegen die Grippe“ raten: Lachen Sie mal wieder! Oder schließen Sie Freundschaften! Dann bekommen Sie auch keine Grippe. Einige Betrachtungen über interessante Vorschläge, die Grippe zu vermeiden, die nur einen schwerwiegenden Nachteil haben – sie sind absolut undurchführbar

von JOCHEN SCHMIDT

So stand es in „77 Tipps gegen die Grippe“, einem Buch, das ich auf dem Grabbeltisch einer Bahnhofsbuchhandlung gefunden hatte. Das ist also der Grund dafür, dass ich in diesem Winter immer krank bin, ich lache zu wenig. Ich bin nämlich so oft krank, dass ich schon den Verdacht habe, gar nicht zuzunehmen, sondern einfach nur zwei Kilo Viren mit mir rumzuschleppen.

Ich kann aber nicht auf Befehl lachen. Wenn ich im Fernsehen eine Witzsendung sehe, erstarren meine Gesichtszüge und die Nase droht mir abzufallen. Anschließend brauche ich Tage, um mich wieder normal bewegen zu können. Die Zuschauer, die sich auf die Schenkel klopfen, sind offenbar wahnsinnig. Gern würde ich im Studio auftauchen und sie zur Vernunft bringen: „Hört mal her, Leute. Dieser Kabarettist eben war objektiv nicht komisch. Ihr lacht nur, weil ihr es nicht besser wisst. Ihr könnt nichts dafür, wahrscheinlich sind eure Eltern schuld, oder ihr seid milieugeschädigt. Seht euch doch mal an. Ihr habt gar keinen Grund zu lachen.“

„Du hast eben keinen Humor“, antworten sie.

„Doch. Mein Humor ist nur viel besser als eurer.“

„Warum bist du dann dauernd krank?“

Damit sprechen sie natürlich meinen wunden Punkt an. Aber was soll ich machen? Wenn man so einen hochgezüchteten Humor hat wie ich, dann findet man kaum noch etwas komisch. Und die Viren reiben sich die Hände. In meiner Verzweiflung habe ich mir schon eine Lachmaschine gebastelt und an meinem Kopf festmontiert. Hinten ein Einweckgummi, rechts und links Drahtkrallen, mit denen die Mundwinkel nach außen gezogen werden. Jeden Abend vorm Schlafengehen schnalle ich mir das Gerät um, sodass ich die ganze Nacht lache. Trotzdem wache ich am Morgen mit Halsschmerzen auf. Die Viren lassen sich nicht so einfach hinters Licht führen.

Ich nehme wieder „77 Tipps gegen die Grippe“ zur Hand. „Schließen Sie Freundschaften“, heißt ein weiterer dick unterstrichener Hinweis. Grippe bekommen nur einsame Menschen, Außenseiter und Eigenbrötler. Das ist eine natürliche Entwicklung, denn solche Menschen sollen ja aussterben und die Gemeinschaft nicht mit ihrer Griesgrämigkeit belasten.

Aber wie schafft man es, kein Eigenbrötler zu sein? Wie schließt man Freundschaften? Das ist nicht so einfach wie mit der Lachmaschine. Ich kann ja niemanden zwingen, mich nett zu finden. Abgesehen davon, dass dazu auch eine gewisse Reife gehört. Vom Notizblock an meiner Wohnungstür ist jedenfalls seit zehn Jahren kein Blatt mehr abgerissen worden. Man müsste den Spieß einmal umdrehen und sich selbst Freunde suchen. Ich gehe also auf den erstbesten Menschen zu, der mein Kumpel werden soll, und spreche ihn an: „Wir könnten Freunde sein.“

„Wir kennen uns doch gar nicht.“

„Wir können uns ja kennen lernen.“

„Ich weiß aber nicht, was für ein Typ Sie sind. Vielleicht sind Sie mir unsympathisch.“

„Das ist doch der Sinn der Freundschaft, dass man über die schlechten Eigenschaften des anderen hinwegsieht.“

„Ich will aber keinen Freund, der keine Freunde hat.“

„Ich kann doch Ihre übernehmen.“

Weil ich auf diese Art keinen Erfolg habe, kaufe ich mir ein anderes Buch vom Grabbeltisch: „Erfolg durch Small-Talk“. Darin steht, dass die meisten Gespräche ohne Inhalt sind und dass sich, wer immer etwas Sinnvolles sagen will, sozial isoliert.

Das ist also das Problem, ich weiche zu vielen uninteressanten Gesprächen aus. Man muss lernen, sie tapfer durchzustehen. Man darf auf Sätze wie: „Ich war letzten Sommer mit meiner Frau endlich einmal im Sant-Jaume- Kloster, dann sind wir über den Rio Estragon gefahren und haben den berühmten Labello-Felsen aus der Nähe fotografiert“, nicht antworten: „Schön für Sie“, sondern man muss sagen: „Das klingt ja aufregend. Wie kam es denn dazu?“ So baut man Brücken, über die der Redestrom fließen kann. Man muss natürlich auch die Körpersprache beachten. Man darf sich nicht die Augen reiben und am Kopf kratzen. Vor allem darf man dem Gesprächspartner während des Gesprächs nicht den Rücken zuwenden.

Wenn man nur die richtigen Fragen stellt, wird man mit jedem warm. Ich versuche es mit einem Allround-Beispiel aus dem Buch: „Sie sind also vom Skifahren aufs Snowboarden umgestiegen?“

„Wieso? Stimmt doch gar nicht.“

„Darum geht es nicht. Sie müssen antworten: ‚So habe ich das noch nie gesehen, wie kommen Sie darauf?‘“

„Ich kann aber gar nicht Ski fahren.“

„Und wie ist es dazu gekommen?“

„Hören Sie doch mit Ihrer billigen Rhetoriknummer auf. Sie werden nie Freunde haben. Das liegt daran, dass sie keinen Humor haben. Wenn sie ein Fünkchen Ehre im Leib hätten, hätten Sie sich schon längst umgebracht.“

Diese Worte machen mich nachdenklich. Wenn nicht einmal so ein unsympathischer Mensch wie dieser mit mir befreundet sein will, muss ich um mein Leben fürchten. Die Natur kennt keine Gnade, sie sondert alles aus, was ihre Harmonie stört. Ich muss ihr beweisen, dass sie mich noch braucht, sonst lässt sie mich über die Klinge springen. Ich nehme allen Mut zusammen, gehe raus und spreche sie einfach an: „Na?“

Die Natur antwortet mir nicht.

„Du bist nicht wie die anderen. Lass uns Freundschaft schließen. Ich kann gut zuhören.“

Eisiges Schweigen.

„Wie machst du das, dass du jedes Jahr jünger aussiehst?“

Nichts. Nur ein kalter Wind weht mir entgegen. Meine Nase läuft und ich muss niesen. Die Natur ignoriert mich. Ich habe es versucht, aber ich stehe wohl schon auf ihrer Abschussliste.