Die Alpen sollen ergrünen

Überraschend viele Schadstoffe in der Transitluft. Haltung des Europaparlaments zum jüngsten Schwerlast-Abkommen unklar. Anhörung der Grünen: EU soll Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention unterzeichnen. Modell auch für Pyrenäen und Karpaten

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Dass die politische Bewertung wesentlich davon abhängt, welche Experten man befragt hat, zeigte sich gestern wieder im Europaparlament. Da sich noch diesen Monat der Verkehrsausschuss mit dem Alpentransit befasst und im Februar das Plenum darüber abstimmen soll, hatten die Grünen zu einer Konferenz mit Fachleuten aus der Kommission, den Parteien und den Umweltverbänden geladen.

Ein Blick in deren Statistiken fördert erstaunliche Erkenntnisse zutage. Während die Verkehrsminister der Union davon ausgehen, dass die Stickoxidbelastung durch den Schwerlast-Transport seit 1991 um 60 Prozent reduziert werden konnte, kommen Messungen vor Ort zu anderen Ergebnissen. So berichtete das Transitforum Austria Tirol im Dezember, die Emissionen hätten seither sogar um 18 Prozent zugenommen. Die Luft sei bei Inversionswetterlagen schlechter als in Mailand. Auch beim viel gelobten Laster der neuen Umweltnorm Euro 4 kratzten die Experten gestern am Lack: Die bisherigen Tests seien nicht aussagekräftig, da weder am Berg noch mit Beladung gemessen worden sei, sondern nur unter Laborbedingungen.

Am Silvestertag hatten die Verkehrsminister im Hauruckverfahren eine neue Regelung für den Schwerlast-Verkehr durch Österreich beschlossen. Eine Sperrminorität aller Alpenländer kam nicht zustande, da Frankreich nur am Rande betroffen ist und Italien am liebsten noch mehr Lasterverkehr durch die Alpen schleusen möchte. Nur Österreich wehrte sich bis zum Schluss dagegen, dass die Zahl der Frachtfahrten künftig nicht mehr nach oben begrenzt wird und der Schadstoffausstoß der modernen Euro-4-Laster nicht in die Ökobilanz einfließen soll. Im Parlament, das normalerweise ökologischer abstimmt als der Rat, ist das Stimmungsbild beim Thema Alpentransit und Ökopunkte noch unklar.

„Für die meisten Europäer gibt es die Alpen nicht mehr“, hat der Tiroler Bergsteigerpromi Reinhold Messner, der seit dieser Legislaturperiode für Italiens Grüne im Europaparlament sitzt, festgestellt. Tunnel und ausgebaute Autobahnen hätten dazu geführt, dass die Alpen als geologische Barriere in den Köpfen nicht mehr existierten. „Seit ich Mitglied dieses Parlaments bin, habe ich keinen Menschen getroffen, der nicht dafür plädiert, den Schienenverkehr über die Alpen auszubauen – passiert ist in den letzten Jahren aber das Gegenteil!“

Der freie Warenverkehr sei in der Union der höchste Wert, ihm habe sich alles unterzuordnen. Es gehe nicht darum, die Mobilität einzuschränken: „Wo wir die Mobilität vernachlässigt haben, sind die Menschen aus den Alpen weggegangen“, so Messner. Es müssten aber intelligente Formen von Mobilität gefunden werden. Die EU müsse jetzt das Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention unterschreiben. Wenn erst die zehn neuen Mitglieder aufgenommen seien, werde es viel schwieriger, sich darauf zu verständigen. Tatsächlich ist von den neun Staaten, die als Alpenanrainer die „Alpenkonvention“ gegründet haben, Slowenien das einzige neue EU-Land.

Auch Eva Lichtenberger von den österreichischen Grünen setzt große Hoffnung in das Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention. Alle Unterzeichner verpflichten sich, keine „hochrangigen Straßen für den alpenquerenden Verkehr“ mehr zu bauen, die nach dem 31. Oktober 2000 beschlossen worden sind. Bei den Wegekosten akzeptieren die Vertragsparteien das Verursacherprinzip und unterstützen „die Entwicklung und Anwendung eines Berechnungssystems zur Ermittlung der Wegekosten und der externen Kosten“. Das System soll umweltfreundliche Verkehrsträger begünstigen.

Dass diese Strategie Früchte tragen kann, zeigt die Schweiz. Dort haben vor allem die hohen Mautgebühren dazu geführt, dass 70 Prozent der Transporte über die Schiene abgewickelt werden. In Österreich sind es nur 30 Prozent. In der Schweiz fließen zwei Drittel der Mauteinnahmen in eine Verbesserung des Schienenverkehrs, in Österreich werden sie ausschließlich für den Straßenausbau genutzt.

Lichtenberger will die Alpen zu einer Musterregion für Umweltpolitik und Nachhaltigkeit machen. Sie glaubt, dass dort erprobte Modelle auch auf die Pyrenäen oder Karpaten übertragen werden könnten und sogar in städtischen Ballungsräumen nützlich sein könnten. „Wir sind für jede Solidarität aus dem Hügelland und dem Flachland dankbar“, sagte Lichtenberger. Bis jetzt allerdings ist davon wenig zu spüren. Nur Österreich, Lichtenstein und Deutschland haben das Protokoll ratifiziert. Dirk Van Vreckem aus Palacios Generaldirektion für Transport erinnerte gestern im Parlament daran, dass die EU-Kommission dem Rat bereits im Januar 2001 empfohlen hat, das Protokoll zu unterzeichnen. Aber wie Reinhold Messner sagt: Die Europäer haben vergessen, dass es die Alpen gibt.