Eine gewisse Schwermut

Paul McCartney hat neben Popsongs auch das Oratorium „Ecce cor meum“ geschrieben. Es entstand unter dem Eindruck des Todes seiner Frau Linda, handelt von der Liebe und erlebte jetzt in der Lübecker Petrikirche seine norddeutsche Erstaufführung

Es ist immer ein Risiko, die gewohnten Bahnen zu verlassen. Wer es eingeht, setzt sich der Kritik derer aus, denen das Gewohnte lieber war. So ist es bisher recht wenigen Popstars gelungen, ungeschmäht in die vermeintlich seriöseren Gefilde der klassischen Komposition zu wechseln. Denn einerseits gibt es da das Problem, ernst genommen zu werden. Andererseits stellt sich oft die Frage nach der Notwendigkeit dieser Grenzüberschreitung.

Auch ein immer wieder genialer Songschreiber wie Paul McCartney, dessen Oratorium „Ecce cor meum“ für Sopran, Chor, Knabenchor und Orchester jetzt in der Lübecker Petrikirche in norddeutscher Erstaufführung zu hören war, steht beim Schreiben eines solchen Werkes vor einem objektiven Problem: Was im Lied, im melodiösen Substrat weniger Minuten, unmittelbar zündet und überzeugt, lässt sich nicht einfach ins Epische ausdehnen, ohne dass die Musik einem inneren Leerlauf verfällt, der sich auch mit dem kunstfertigsten Pomp nicht überdecken lässt.

In den vier Sätzen des 2006 uraufgeführten, knapp einstündigen Werkes, das eher eine groß angelegte Kantate als ein Oratorium ist, taucht diese Schwierigkeit immer wieder auf. Man spürt, wie in jedem Abschnitt nach der Exposition des melodischen Kerns die Mühen der Verarbeitung beginnen, wie McCartney darum gerungen haben muss, dem Werk eine in sich schlüssige, aber auch spannungsvolle Dramaturgie zu geben.

Dies war wohl auch deshalb nicht so einfach, weil „Ecce cor meum“ ein Werk ist, das letztlich nur eine Botschaft transportieren will: Es geht um Liebe. Wo die in den Texten formulierte Message so eindeutig ist, muss die Musik dem etwas entgegensetzen, um nicht bloß gefühlig zu sein. Und in der Tat ist dies McCartney gelungen, in dem er die Allerweltsbotschaft mit einer für ihn einschneidenden Erfahrung konfrontiert hat: dem Tod seiner Frau Linda, der das Werk auch gewidmet ist.

Von diesem biographischen Hintergrund her hat das Stück eine grundlegende Schwermut bekommen, die besonders im ersten, „Spiritus“ überschriebenen Abschnitt unmittelbar überzeugt, in dem der Chor zuerst a cappella, wie ins Leere hinein, die ersten Worte des Textes deklamiert. Sofort schießt einem da das – nun ins Epische vergrößerte – Bild jener lonely people in den Kopf, die McCartney in dem Beatles-Song „Eleanor Rigby“ so unvergesslich porträtiert hat.

Von ähnlicher Güte ist auch „Musica“, der dritte Satz des Werkes, der die Message von der befreienden Wirkung der Musik erfreulicherweise konterkariert, indem er sich, in einem recht komplexen, fugenartigen Chorsatz, die meiste Zeit eigenartig mühsam dahinschleppt, um sich dann erst am Schluss ins ungebrochen Hymnische zu wenden.

In dem von Gabriele Pott geleiteten Gesamtensemble aus Sängerinnen und Sängern der Lübecker Singakademie, des Hamburger Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chores, des Hildesheimer Knabenchores, den Musikern des Philharmonischen Orchesters Lübeck sowie der hervorragenden Sopranistin Stefanie Kunschke hatte der klassische McCartney zudem überzeugende Fürsprecher.

Pott und das Orchester hatten den Lübecker Konzertabend mit zwei reinen Orchesterwerken McCartneys begonnen, von denen das 1997 entstandene „Spiral“, eine liebliche Elegie im Stil der frühen Orchesterwerke Ralph Vaughan-Williams’ erstmals in Deutschland zu hören war. STEPHAN TUROWSKI

Am 28.  9. 2008 ist „Ecce cor meum“ in der Hamburger Laeiszhalle zu hören