Fremde Sprachen verstehen

Zehn Jahre integratives Eisenhans-Projekt beim Thalia Treffpunkt wird mit mehreren Inszenierungen gefeiert: Hier geben statt der Strichfassung die TeilnehmerInnen die Richtung vor

von LIV HEIDBÜCHEL

Ist vom Lernen unterschiedlicher Sprachen die Rede, denkt man spontan an Fremdsprachen. Herbert Enge, Leiter des Thalia Treffpunkts, denkt aber an die ganz eigene Ausdrucksart seiner KursteilnehmerInnen. Im integrativen Eisenhans-Projekt, das am Wochenende sein zehnjähriges Bestehen feiert, gab es über die Jahre besonders viele Sprachen: Bei der Theaterarbeit trafen in bislang 19 Produktionen behinderte und nichtbehinderte Jugendliche aufeinander.

Begonnen hatte alles mit der Inszenierung vom Eisenhans. Dabei steht Enge dem Begriff Inszenierung skeptisch gegenüber: „Es ging und geht beim Eisenhans-Projekt nie darum, eine Strichfassung auf die Bühne zu bringen. Die Inszenierung einer literarischen Vorlage ist so nie möglich. Das biegt nach kurzer Zeit immer ab.“

Als versierter Theaterpädagoge weiß Herbert Enge, dass er zwar ein Thema anbieten kann. Wie die TeilnehmerInnen dann aber ihr eigenes Leben auf das jeweilige Stück übertragen, darauf hat Enge keinen Einfluss. Beim Märchen Eisenhans gab es viele Berührungsflächen mit dem Leben von Behinderten: Da ist dieses unheimliche Wesen im Wald und dann der Königsjunge, der eine klassische Bildungsgeschichte durchlebt, bis er erwachsen ist. Auf Grund dieser „deutlichen Korrespondenzen“, wie Enge es nennt, lebt der Eisenhans bis heute im Namen des Treffpunkt-Projekts fort.

Doch dem Theatermann ist wichtig, dass die mittlerweile drei Produktionen pro Spielzeit wirklich integrativer Art sind und nicht nur er fremde Sprachen verstehen lernt. Tatsächlich kann Enge bei den diesjährigen Projekten seit langem wieder einer Zuwachs nicht behinderter Teilnehmer verbuchen. Eine Erklärung gibt es dafür nicht. Enge verzichtet mit Absicht auf das „behindert“ in der Überschrift. Es käme ihm wie die Behauptung von Schutzraum vor, die es beim Theater aber nicht gibt. Enge vertraut vielmehr auf das Thema, das Interesse weckt.

Auch bei den Stücken Odyssee ins Glück und Nachtgestalten, die am Sonntag zum Jubiläum gezeigt werden, geht es beide Male um Abenteuergeschichten. Ausziehen, um das Leben kennen zu lernen – welcher Jugendliche wünscht sich das nicht? Besonders die behinderten Kinder und Jugendlichen erleben im Elternhaus eine manchmal erdrückende Überbehütung. Die Eisenhans-Projekte bieten da eine Erweiterung von Möglichkeiten – Reibungen mit Eltern nicht ausgeschlossen. Daneben organisieren Enge und sein Team die praktischen Dinge wie Fahrdienst, Ausstattung und Technik: „Es ist kaum vorstellbar, wie viele Gespräche man am Rande so führen muss, damit den Jugendlichen das Theater ermöglicht wird.“

Ein ständig nagendes Problem ist natürlich die Finanzierung des Ganzen: Die Kulturbehörde unterstützt eine Produktion pro Spielzeit. Den Antrag dazu stellt der Verein und Treffpunkt-Partner „Leben mit Behinderung Hamburg“. Jedes Mal aufs Neue und bislang immer mit Erfolg. Die restlichen Mittel kommen vom Verein selbst, dem Freundeskreis Eisenhans und dem Thalia Treffpunkt. Der große Zuspruch bei den Eisenhans-Projekten belohnt Enge und sein Team für ihre Mühen. Nicht nur die Teilnehmerzahlen sind hoch, auch die Vorstellungen sind immer ausverkauft. Dazu kommen Gastspiele in anderen Städten.

Damit dies auch so bleibt, ist Enge auf der Suche nach einem privaten Geldgeber. Dabei wünscht er sich Unterstützung vom Senat. Da ist es sicher keine schlechte Voraussetzung, dass Kultursenatorin Dana Horáková ihr Kommen zur Jubiläums-Matinee zugesagt hat.

Sonntag, 12. Januar, 11 Uhr: Matinee mit Tierisch schön, einer inszenierten Modenschau, 18 Uhr Odyssee ins Glück, 20 Uhr: Nachtgestalten, Thalia in der Gaußstraße