strübel & passig
: Gute Vorsätze 2003

Unsere im letzten Jahr veröffentlichten guten Vorsätze haben uns nichts als Ärger eingebracht: Während weiterhin Satanisten die ersten Seiten in der Presse, AOL die besten Werbeplätze im Fernsehen und Menschen unter 18 die unterhaltsamsten Drogen in der großen Pause einnahmen, scheiterten unsere Projekte 2002 (absoluter und endgültiger Weltfrieden, Zeugung eines gemeinsamen Klonbabys in Iras Küche und „öfter mal eine halbe Stunde früher aufstehen“) grandios. Doch kein Grund zu verzweifeln, schließlich ist das unselige Jahr 2002 nunmehr Geschichte. Zeit also für ein neues Lied, ein besseres. Hier sind die guten Vorsätze 2003 – jetzt neu! Mit einem Jahr mehr!

 Ich will niemanden essen, den ich im Internet kennen gelernt habe. Auch nicht, wenn er höflich darum bittet.

 Ich werde versuchen, nicht mehr beleidigt abzubrechen, wenn eine Internetumfrage mir als maximale Option „bin seit mehr als zwei Jahren online“ anbietet. Stattdessen werde ich mich einfach im Stillen wie eine Pionierin fühlen und nach Westen vorstoßen, um mir dort am Kühlschrank eine Beruhigungsstulle zu schmieren.

 Damit sich die Investitionen der europäischen und amerikanischen Regierungen in Echelon und andere Erst-mal-alle-ausspionieren-Systeme auch lohnen, will ich dieses Jahr öfter mal Begriffe wie „Heiliger Krieg“ „TNT“ und „Falaffel“ in Mails an meine Oma einflechten.

 Mein Credo soll sein: TCP/IP ist gut. TCPA (moon.hipjoint.de/tcpa-palladium-faq-de.html) ist es nicht. Ich werde ahnungslosen Newbies nicht länger erzählen, das A in AOL stehe für „Achse des Bösen“.

 Ich will mir eine Schreibtischplatte aus zahnfreundlichem Weichgummi zulegen, um die Gebissschäden zu begrenzen, die ich mir beim Online-Shopping angesichts all der navigatorischen Zumutungen zuziehe. Oder einfach wieder mehr bei Karstadt um die Ecke einkaufen.

 Ich werde in diesem Jahr meinen Spamfilter endgültig auf alles von hotmail, aol, gmx, msn sowie Adressen mit Zahlen drin hetzen. Freunden, die bislang ausschließlich eine solche Adresse besaßen, werde ich eigenhändig eine neue, menschenwürdige Unterkunft jenseits der Slums besorgen. Oder mir neue Freunde.

 Ich werde bis zur Rente mein bahn.de-Bookmark löschen und mir stattdessen durchsichtige Rabatte bei meiner neuen Startseite www.clever-tanken.de verschaffen. Wenn ich dereinst pensioniert bin, kann ich ja vielleicht meine Reisen Wochen im Voraus planen.

 In diesem Jahr will ich ein aware user werden und neue Jugendschutzrichtlinien und Zensurverordnungen genau beobachten. Sicherheitshalber werde ich mir noch schnell das ganze Internet runterladen und ausdrucken, bevor es endgültig verboten wird.

 Ich will nicht bereuen, dass ich meinen Eltern das Surfen und Mailen beigebracht habe. Vielmehr will ich einfach aufhören, unter meinem vollen Namen Dinge ins Internet hineinzuschreiben, von denen sie besser nie erfahren hätten.

 Wenn ich Ex-Pixelpark-Projektleitern begegne, will ich höflich 50 Cent in den Pappbecher legen und ihr Mundharmonikaspiel loben.

 Ich will diesen Text nicht ohne Erlaubnis auf meine Homepage setzen und so tun, als wär er von mir, um erbost mein taz-Abo zu kündigen, wenn man mich daran hindern will. Gell, Herr B. aus Tü.? IRA STRÜBEL, KATHRIN PASSIG

ira.struebel@wob.ag, kathrin@kulturindustrie.com