„Es fehlt der Wille“

Jean-Paul Hellequin, der Sprecher der Seefahrergewerkschaft in der französischen Hafenstadt Brest, über Unfallprävention und Kontrollen

taz: Herr Hellequin, in diesen Tagen kündigen französische Politiker ein radikales Vorgehen gegen die Gefahren der Seefahrt an. Beruhigt Sie das?

Jean-Paul Hellequin: Fensterreden. Seit dem Unfall der „Amoco Cadiz“ 1978 werden bei jedem neuen Unfall dieselben Worte benutzt, um die Bevölkerung zu beruhigen. Wie jetzt bei der „Prestige“.

Wieso sind keine verstärkten Schiffskontrollen möglich?

Letztes Jahr haben über 3.500 große Öltanker in Frankreich angelegt, davon 25 bis 30 Prozent mit einfachem Boden, ein Drittel über 25 Jahre alt und ein Drittel in schlechtem Zustand. Unser Präsident hat eine verstärkte Kontrolle ab dem 1. Januar angekündigt. Dazu wären mehr als 200 Seefahrtsinspektoren nötig. Frankreich hat aber nur 54.

Es fehlt also an Mitteln?

Es fehlt der politische Wille für eine echte Seefahrtspolitik. Das Land hat zum Beispiel nur zwei große Abschleppschiffe. Seit Jahren verlangen wir eine Verdoppelung der Abschleppschiffe im Norden. Und mindestens zwei für die Mittelmeerküste, wo es gegenwärtig überhaupt nichts für ein kompliziertes Abschleppmanöver gibt.

Ist es anderswo in Europa besser?

Spanien hat viele Abschleppschiffe. Aber die 14 Manöver, die nötig waren, um die „Prestige“ abzuschleppen, zeigen, dass es da Probleme gibt. Die Schlepper sind zu klein und zu schwach.

Wo muss eine internationale Seefahrtspolitik ansetzen?

Man muss die OMI, die Internationale Seefahrtsorganisation in London, aufrütteln. In der OMI richtet sich das Stimmrecht nach dem Gewicht der Schiffe. Länder wie Kambodscha, Panama oder Malta haben die meisten Schiffe in schlechtem Zustand, und sie haben in London die meisten Stimmen. Europa muss gegen die Pseudoreeder vorgehen, die alte Schiffe kaufen und sie nicht warten. Und die Besatzungen einstellen, die wenig oder gar nicht ausgebildet sind und oft nicht bezahlt werden. Dagegen muss Europa kämpfen.

Sind Schiffe mit doppelten Böden sicherer?

Die ersten Schiffe mit doppelten Böden werden bald zehn Jahre alt. Inzwischen gibt es Reeder, die sich schon wieder davon trennen. Denn wenn man kein sehr großes Budget hat, um diese Schiffe zu unterhalten, werden sie sehr bald gefährlich. Zwischen den Böden können dann Gase entstehen, die nicht nur auf dem Meer, sondern auch in den Häfen zu Unfällen führen können. Ein einfacher Boden kann über 20 Jahre halten, wenn dahinter ein Reeder steht, der sein Schiff gut unterhält und eine Besatzung hat, die gut ausgebildet ist.

Damit schließen Sie einen Teil der Seefahrer aus der Dritten Welt aus.

Gerade auf den Schiffen in miserablem Zustand sind leider oft Leute aus der Dritten Welt. Und genau diese Schiffe haben oft technische Probleme. Ein Drittel der Weltflotte, nicht nur Erdöl- und Chemieschiffe, ist in einem sehr schlechtem Zustand. Die traurige Zahl: 150 Schiffe über 70 Meter Länge sinken jedes Jahr in den Ozeanen, oft mit ihren Besatzungen. Und das mit Ladungen, die sehr gefährlich sind. Weil das aber nicht die europäischen Küsten verseucht, spricht niemand davon.

INTERVIEW: DOROTHEA HAHN