Eine Woche lang nur von Kokosmilch ernährt

Auf der Salomoneninsel Tikopia legt das erste Hilfsschiff an. Die Bewohner leben – ohne Häuser und ohne Ernte

SYDNEY taz ■ Wie die 1.300 Bewohner der Salomoneninsel Tikopia dem schweren Wirbelsturm „Zoe“ trotzten und selbst zehn Meter hohe Wellen überlebten, wird in die Heldenlegenden der Südsee-Insel eingehen. „Beim Herannahen des Sturms sind wir in Berghöhlen geflüchtet – auf Pfaden, die schon unsere Vorfahren benutzten“, berichtete ein Einheimischer der ersten Rettungsmannschaft, die am Sonntag das Eiland erreichte. Weil die Wellen Lagune und Binnenseen überschwemmt und so die Süßwasservorräte verunreinigt hatten, überlebten die Insulaner nur mit Kokosmilch. Gestern Morgen brachte das Patrouillenboot „Auki“ der Bevölkerung schließlich eine erste Ladung Trinkwasser, Medikamente, Lebensmittel und Werkzeuge, um sich wieder ein Dach über dem Kopf zu zimmern.

Der Sturm, der vor acht Tagen mit bis zu 300 Stundenkilometern über die kleine Insel gefegt war, hatte ganze Dörfer ins Meer gespült. Hütten, Gärten und Felder sind zerstört. Die Insulaner überlebten „wie durch ein Wunder“, so Alan March von der australischen Hilfsorganisation „AusAid“. Wie March mitteilte, habe man nach Anlegen der „Auki“ sofort mit der Behandlung Verletzter begonnen. Glücklicherweise sei niemand schwer verletzt worden.

Behörden in der Salomonen-Hauptstadt Honiara hatten nach dem Zyklon hohe Opferzahlen befürchtet. Funkrufe zu dem etwa 1.000 Kilometer entfernten Tikopia blieben ohne Antwort. Die Insassen erster Flugzeuge, die über den Inseln kreisten, hatten von einer Katastrophe schrecklichen Ausmaßes berichtet. Landungen waren aufgrund fehlender Landebahnen nicht möglich. Hilfe per Schiff wurde durch die Zahlungsunfähigkeit der Salomonen-Regierung um fünf Tage verzögert. Seit vier Jahren ruiniert ein blutiger Bürgerkrieg jeglichen wirtschaftlichen Aufschwung in der ehemaligen britischen Kolonie. Das Auslaufen des ersten Bootes hatte sich außerdem in die Länge gezogen, weil die Dienst tuenden Polizisten an Bord ihr Gehalt mit mehr als 1.000 Dollar Sondervergütung aufbessern wollten – „für die lange Seefahrt“. Erst das Eingreifen von Australien und Neuseeland brachte Hilfe zur Insel. Inzwischen sind zwei weitere Schiffe nach Tikopia unterwegs. Auch von anderen betroffenen Inseln kamen gestern Signale, die aufatmen ließen. Die Besatzung eines französischen Marine-Hubschraubers landete gestern auf der von etwa 1.000 Menschen bewohnten Insel Mota Lava und meldete, alle Bewohner seien wohlauf. Auch auf der Insel Anuta scheinen die Bewohner durch die Flucht in Höhlen überlebt zu haben. Gleich nach dem Ausladen in Tikopia sollte die „Auki“ noch gestern in Richtung Anuta wieder in See stechen. Trotzdem steht den Insulanern eine schwere Zeit bevor. Ihre gesamte Ernte ist zerstört. Das australische Fernsehen erinnerte am Wochenende daran, dass nach einem ähnlich schweren Sturm vor einem halben Jahrhundert mindestens 200 Einwohner verhungert seien.

BORIS B. BEHRSING