In fünfzehn Minuten auf ex

„Du mich auch“: Bei der Eröffnung des Tanztage-Festivals waren die Choreografinnen Rachael Lincoln und Sommer Ulrickson die Gewinnerinnen des Abends. Hinreißend verhandelten sie die Situation plötzlich entdeckter Untreue

Frauen, die Bierflaschen auf ex austrinken, sieht man im Theater oder im Film, im wahren Leben aber selten. Dabei bekommt die Bauarbeitergeste richtigen Glanz in ihrer femininen Ausführung.

Bei der Eröffnung der Tanztage war das Auf-ex-Trinken aus Halbliterbierflaschen jedenfalls sexy, souverän und saukomisch. In dem Stück „Ich dich auch“ von Rachael Lincoln und Sommer Ulrickson flogen die Gliedmaßen und die Kronkorken nur so durch die Luft, das Publikum im überfüllten Saal tobte, die Künstlerinnen mussten eigene Lachanfälle unterdrücken, und selbst die Kritiker waren zufrieden. Dank Ulrickson und Lincoln, die mit ihrem hinreißenden Ehebruchdrama einen Sog herstellten, dem man sich schwer entziehen konnte.

Das nur 15-minütige Stück der beiden aus Kalifornien stammenden, seit einigen Jahren in Berlin lebende Choreografinnen verhandelt die Situation der plötzlich entdeckten Untreue: Eine Frau trifft auf die Geliebte ihres Mannes. In der kämpferisch-komischen Annäherung an die Rivalin lernt sie nicht nur ihren Hass kennen. Die andere ist bald auch das Objekt der Begierde. Lincoln und Ulrickson, ein gut funktionierendes Team, dem die Choreografie so geschmeidig von der Hand geht, dass der Zuschauer die Schönheit der Bewegungen am eigenen Leib spüren kann, die beiden tanzen den unauflöslichen Widerspruch zwischen Abgrenzung und Hingabe.

Und sie sind wunderbar komisch, ohne intellektuelle Schwere und beißenden Zynismus, wie er auf deutschen Bühnen nur zu gern als Retter in der Seelennot gebraucht wird. Und sie trinken das Bier auf ex so erotisch, dass man am liebsten gleich mitmachen möchte.

„Ich dich auch“ erlebte bei den Tanztagen eine furiose Uraufführung. Die anderen beiden Arbeiten, „Schon fertig“ der Tänzerin Chat und „Die Geschichte vom blutigen Ende der Liebe des Mädchens das zur Spinne wurde“ von Anja Hempel, nahmen sich im Vergleich leider etwas blutleer aus. Vor allem die „medienkritische“ Gruppenperformance von Chat, die ihre Bewegungsarmut durch allseits bekannte Zeitgeistprämissen ersetzte – „die Informationsflut wird zur Strapaze, die uns in Dauerstress versetzt“ – löste kein Tanzversprechen ein. Ein unglücklicher Handgriff, das Stück als Opener des Abends und des gesamten Festivals laufen zu lassen. JANA SITTNICK

Tanztage, heute, 19 Uhr, junge Choreografen und Chat, Sophiensæle, Kartentel. 2 83 52 66, www.tanztage.de