Die Malerin

von HEIDE PLATEN

Sie sieht nicht aus wie eine Politmanagerin, sondern eher wie eine Mutter aus der Lindenstraße, rundlich, praktisch, gut. Die graublonde Frisur kurz, meist ein bisschen zerzaust, die Schuhe bequem, die Kostüme geräumig, weite Jacken, gedeckte Farben. Und doch hat die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Ruth Wagner (62), ihre Extravaganzen. An diesem Wintertag bei der Grundsteinlegung für den Neubau Physik der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität im neuen nördlichen Stadtteil Riedberg hat ihre warme Jacke ein Schlangenmuster. Und Ruth Wagner liebt bunte Halstücher, trägt sie lässig elegant zu braven Ensembles. In ihrer Freizeit malt sie, abstrakt, farbenfroh, aber auch gegenständlich, verfremdete Landschaftsbilder und Alltagsszenen, die von Kennern gelobt werden.

Nicht, dass sie aussieht, als lasse sie sich stil- und farbberaten, dennoch sagt ihre Erscheinung etwas aus über sie. Die Charakterzüge der stellvertretenden Ministerpräsidentin lassen sich in zwei Rubriken einteilen. Einerseits ist sie beliebt, gilt als großzügige Förderin der bildenden Kunst, als spontan, hebt ihr Telefon selbst ab, hat Geduld, hört zu, hilft Bittstellern gerne und aus Überzeugung, wo sie kann: warm, freundlich, zupackend, mit manchmal kindlichem Vergnügen am Unkonventionellen. Dann redet sie ohne Absicherung. „Arschloch“, entfuhr es ihr einmal gegenüber einem Grünen-Landtagsabgeordneten.

Andererseits sind da die harten Wesenszüge. So unbeirrt war ihre Treue nicht nur zur Koalition mit der affärenbelasteten CDU in Hessen, sondern auch zur Person Roland Koch, dass sie sich gegen ihren damaligen FDP-Bundesvorsitzenden Wolfgang Gerhardt durchsetzen konnte, der verlangte, Koch zum Rücktritt zu zwingen. Im Trubel der Schwarzgeldaffäre wiegelte sie ab, redete schön, hielt gegen das ganze Berliner Parteipräsidium und die eigene Basis an Koch fest. Im März 2000 bestätigte schließlich ein Sonderparteitag ihre Position. Schon vor der Landtagswahl im Februar 1999 hatte sie sich Koch gegenüber loyal verhalten. Sie rügte dessen Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft nur verhalten. Solche Straßenaktionen, ließ sie sieben Tage vor der Wahl in einem Chatroom wissen, seien „wenig hilfreich“. Unterschrieben habe sie nicht.

Trotz der zeitweiligen Gegnerschaft, sagt Wagner, sei ihr Verhältnis zu ihrem damaligen parteiinternen Gegner Wolfgang Gerhardt nie beschädigt gewesen, „aber es tut weh, wenn man mit Freunden streitet“. Er habe ihre Gewissensentscheidung akzeptiert. Die habe, erklärte sie immer wieder, nicht unbedingt der Person Koch, sondern dem Wählerwillen gegolten. Und der habe nun einmal die rot-grüne Regierung abgewählt. Deshalb dürfe die schwarz-gelbe Koalition nicht platzen. Mit einer ähnlichen Argumentation geht die hessische FDP auch in den neuen Landtagswahlkampf. Statt auf die alte Schwarzgeldaffäre der CDU, den neuen eigenen und andere Skandale konzentriert sich Wagner lieber auf die Kultur- und Bildungspolitik.

Für die Bildung legt sie an diesem Tag den Grundstein. Das Beste daran scheint der Eimer mit dem Mörtel zu sein. Sie rückt die Kelle nicht wieder raus, kleckst, platscht, dann hurtig glatt gestrichen. Am Rand des Betonquaders bleibt rundherum kein Platz für den Uni-Präsidenten Rudolf Steinberg. „Für mein Leben gern habe ich gematscht“, sagt sie und strahlt wie ein Kind im Sandkasten. Am liebsten hätte sie was Praktisches gelernt, „Maurer oder Architektin“. Geworden ist sie stattdessen erst einmal Gymnasiallehrerin. Ruth Wagner ist in der kleinen Gemeinde Wolfskehlen bei Darmstadt geboren und eine Selfmade-Frau. Sie ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Der Vater war Eisenbahner und fiel im Zweiten Weltkrieg. Schon ihre Mutter attestierte der Tochter einen Dickschädel. Sie ertrotzte sich den Besuch des Gymnasiums und studierte in Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft. Damals galt sie als linksliberal und stand dem Sozialistischen Studentenbund nahe.

Ihre politische Karriere hat sie spät begonnen. Erst mit 31 Jahren trat sie in die FDP ein, engagierte sich im Kreis Darmstadt für Bildung und Kultur. Ihrem Kreisverband hält sie noch heute die Treue. 1978 wurde sie in den Landtag gewählt, 1987 stellvertretende Vorsitzende, dann 1995 in der Nachfolge von Wolfgang Gerhardt Vorsitzende der Landespartei.

Eine der prägendsten Erfahrungen, das erzählt Wagner immer wieder gern, sei die Zeit der Opposition gewesen. 1982 war die FDP nach zwölf sozialliberalen Regierungsjahren aus dem Landtag geflogen. Der Schock saß tief, der Wiedereinzug 1983 war hart erstritten. Damals profilierte sich Wagner als Kämpferin. Sie nahm sogar einen Kredit auf, um, wie ihr einmal in einer Fernsehshow herausrutschte, „nicht wieder in den Schuldienst zurückzumüssen“.

Es gehört zu jenen harten Wesenszügen der Ruth Wagner, das, was sie erreichen will, durchzusetzen, und das, was sie hat, festzuhalten. Auch Freunde nennen sie einen „Sturkopf“. Und so steht sie treu zu Roland Koch. Aber auch die rote Farbe, sagte die Malerin Wagner im Dezember 2002 bei einer Preisverleihung, schrecke sie nicht, wenn sie „Gelbtöne“ habe.