Der Selbstlose

von HEIDE PLATEN

Von Rot und Gelb will er nichts wissen in Hessen: eindeutige Koalitionsaussage für die CDU und Punkt! Das ist eine ernste Sache. Aber sonst hat der Mann gut lachen. Wolfgang Gerhardt, 58 Jahre, als neues altes Zugpferd der Liberalen zur Wahlkampfhilfe aus Berlin angereist, wirkt so gelöst wie seit Jahren nicht mehr. Im Wiesbadener Presseclub lehnt er sich in Wohnzimmeratmosphäre zurück und darf endlich wieder aussprechen, was er immer schon über seinen Noch-Parteikollegen Jürgen Möllemann gedacht hat. Der und die Initiatoren der Spaßpartei waren ihm seit Jahren zuwider. Dass er das oft genug auch laut sagte, kostete ihn den Parteivorsitz und brachte ihm den Ruf ein, ein Langweiler und Spaßverderber zu sein.

Die Augen mit den Lachfalten werden schmal, die Stimme scharf. Er nennt Möllemann einen Feigling, einen Egomanen, von dem lasse er sich „nicht mehr auf der Nase rumtanzen“, raus müsse der aus der Partei, „klare Schnittlinie“. Aus der Bundestagsfraktion auch, „fertig, aus!“. Und wenn er sein Mandat nicht hergebe, könne er sich im Bundestag seinethalben ganz hinten „einen Tisch neben Frau Pau“ von der PDS aufstellen. Schluss sei auch mit solchen Albernheiten wie 18-Prozent-Partei im Wahlkampf und unnützen Kanzlerkandidaturen: „Aus Fehlern wird man klug!“

Der hessischen Spitzenkandidatin Ruth Wagner trägt er dagegen nicht nach, dass sie 2000 in der Schwarzgeldaffäre der CDU am Ministerpräsidenten Roland Koch festhielt: „Wir haben uns ausgesprochen. Wir sind immer noch befreundet.“ Gleich nach dem Streitparteitag im März 2000 seien sie hinterher einen Wein trinken gegangen: „Wir haben beide gesagt, wir lassen uns das von der Politik nicht kaputtmachen.“ Vielleicht ähneln sich ihre Auftritte im Internet deshalb so. „Liberalismus ist keine Einkommensklasse, sondern eine Geisteshaltung“, chattet Wagner. „Liberalismus ist ein Lebensgefühl, das Freiheit und Verantwortung vereint“, stelzt Gerhardt auf seiner Internetseite.

Seine politische Karriere hat der promovierte Erziehungswissenschaftler mit der Ausstrahlung des Pflichtmenschen in der Parteiverwaltung begonnen. 1978 wurde er Landtagsabgeordneter in Hessen. Seit 1982 regierte er die hessische FDP, amtierte ab 1987 vier Jahre lang als hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst, wurde 1995 zum Bundesvorsitzenden seiner Partei. 2001 musste er das Amt zugunsten von Guido Westerwelle räumen, blieb aber, taktisch klug, Vorsitzender der Bundestagsfraktion.

Für die Wahlen in Hessen steht er unverbrüchlich zu Ruth Wagner. Das hessische Bündnis, sagt er, funktioniere gut, die CDU brauche die FDP: „Wenn die FDP nicht gewinnt, ist der Koch demnächst wieder Rechtsanwalt.“ FDP zu wählen, so bittet er um Zweitstimmen, das heiße auch „sicherheitshalber“ und „strategisch“ gegen die Alleinherrschaft der CDU in Hessen zu stimmen.

Pflichtmensch hin, Möllemann her, ganz ohne Spaß geht es auch bei Wolfgang Gerhardt nicht ab. Im November letzten Jahres rief er dazu auf, die Finanzämter aus Protest gegen die Steuerpolitik durch permanente Telefonanrufe zu blockieren.

So anarchisch habe er das nicht gemeint, sagt Gerhardt. Und redet sich in Rage über Arbeitsmarktpolitik und Vermögensteuer. Das sind seine Themen. Manchmal wirkt er, als hätten seine Gesten ein Eigenleben. Die Hände hantieren merkwürdig unsynchron zur Rede, die Finger bilden zierliche Körbchen, während der „den ganzen Irrsinn“ lautstark geißelt, die Handkante hackt wütende Löcher in die Luft, während er die eigenen Wirtschaftsvorstellungen leise lobt. Sein Fazit entbehrt nicht der Komik. „Man kann uns“, sagt er, „wählen oder nicht.“

Nein, versichert er dann auf Nachfrage, neuer alter Parteivorsitzender wolle er bestimmt nicht mehr werden. Und zählt, ganz schiere Selbstlosigkeit, eine Reihe junger Nachwuchskandidaten auf, die in „fünf bis sechs Jahren“ so weit sein könnten, ein Amt zu übernehmen. Und bis dahin? „Sie sind doch selbst noch nicht alt“, ermuntert ihn ein Gast. Gerhardt schweigt und lächelt.