Die Rückkehr alter Mächte

Vierzehn Jahre nach dem Völkermord gehen die damaligen Täter wieder in die Offensive. Überlebende müssen bei der Aufarbeitung um ihr Leben bangen

KIGALI taz ■ Ein Bereich, in dem Ruandas Parlament in den letzten Jahren die Politik geprägt hat, ist der Umgang mit dem Erbe des Völkermordes. Nachdem die Regierung jahrelang die Folgen des Genozids von 1994 für bewältigt erklärt hatte, befand Ende 2007 ein parlamentarischer Untersuchungsbericht, in zahlreichen Schulen und Hochschulen des Landes sei eine „Völkermordideologie“, also das Denken, wonach Hutu kollektiv gegenüber Tutsi benachteiligt seien und diese beseitigen sollten, weit verbreitet. Dies äußere sich in Schmähungen im Alltag und auch teilweise im Unterricht.

Dieses Jahr verabschiedete das Parlament daraufhin ein sehr hartes Gesetz gegen „Völkermordideologie“, das sogar Umerziehungsanstalten für Kinder ab dem Alter von sieben Jahren vorsieht. Seitdem häufen sich nun Morde an Tutsi-Überlebenden des Völkermordes, vor allem nachdem sie vor den Dorfgerichten, die in Ruanda „Gacaca“ heißen, in denen landesweit Täter und Opfer des Genozids miteinander konfrontiert werden, ausgesagt haben.

Eine 90-Jährige wurde beim Anzünden ihrer Hütte verbrannt. Ein 35-Jähriger wurde mit einer Machete zerhackt. Bis Ende August wurden dieses Jahr in Ruanda 17 Völkermordüberlebende ermordet, nach einer Aufzählung des Verbandes der Völkermordüberlebenden Ibuka; seit 1995 sind es 167 gewe- sen.

Ibuka-Präsident Theodore Simburudali war 1991 Mitgründer der kleinen Liberalen Partei (PL), die den Großteil ihrer Führung im Genozid verlor. Jetzt kandidiert er auf dem aussichtslosen 10. Listenplatz für ein Abgeordnetenmandat. „Es hat politische Entscheidungen gegeben, die die Situation verschärft haben“, kritisiert er. Vor allem die ab 2003 erfolgten Freilassungen vieler Untersuchungshäftlinge, die wegen mutmaßlicher Teilnahme an Massakern seit 1994 ohne Verfahren in Haft saßen. „Viele Schuldige sind nie bestraft worden. Manche haben ein Geständnis abgelegt und wurden begnadigt, aber sie haben ihr Gedankengut nicht aufgegeben.“ Die Völkermordaufarbeitung belastet Ruanda bis heute. In dem Land mit neun Millionen Einwohnern gelten über eine Million als tatverdächtig. Die Gacaca-Dorfgerichte haben 1.127.706 Anklagen entgegengenommen, von denen bis Ende 2007 1.059.298 bearbeitet wurden; 30 Prozent davon endeten mit einem Freispruch.

Dieses Jahr stehen erstmals nicht nur die „kleinen“ Täter vor den Dorfgerichten, sondern auch Organisatoren, die „erste Kategorie“ der Völkermordverantwortlichen, die bisher regulären Gerichten vorbehalten waren. „Wir waren dagegen“, sagt Ibuka-Chef Simburudali. „Das sind hochgebildete Leute, und jetzt treten sie vor Dorfrichtern auf, die kaum lesen und schreiben können. Das trägt zum Klima der Gewalt bei.“

Erst diese Woche wurde ein Major der früheren ruandischen Armee nach nur zwei Gacaca-Anhörungen zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein einfacher Soldat hatte seinen Angaben widersprochen, wonach er beim Organisieren von Massakern bloß die Befehle seines Oberstleutnants ausgeführt habe. Der Oberstleutnant kämpft inzwischen wie viele andere Völkermordtäter in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo bei den Hutu-Milizen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas).

Infiltrationen von FDLR-Aktivisten aus Kongo nach Ruanda sowie Zusammenarbeit der FDLR mit Hutu-Milizen aus Kongo und Burundi nähren Spannungen, glaubt der Ibuka-Chef. Er gibt eine Mitschuld den ruandischsprachigen Programmen von BBC und Voice of America, die die Hutu-Exilführer zu Wort kommen ließen. „Jeden Samstag gibt es Sendungen, wo die Täter des Völkermordes sagen, dass Kagame ein blutrünstiger Diktator ist und dass man Widerstand leisten muss. In einer Sendung hieß es, die Tutsi seien längst alle wieder registriert und man werde sie töten. Die einfachen Bauern glauben das.“

DOMINIC JOHNSON