Zuständig war niemand

Beim Prozess um den Tod eines 18-Jährigen schieben sich Polizei und Rettungssanitäter gegenseitig die Verantwortung zu. Zeugen kritisieren, dass die Beamten den Zustand des Schülers nicht richtig eingeschätzt hätten

Es geht um Details, an diesem zweiten Prozesstag vor dem Kieler Landgericht: um Funkverbindungen und um die Datierung von Berichten und es geht um die Frage, wo Zuständigkeiten enden. Angeklagt sind die Polizisten Hans Joachim G. und Alexander M., die 2002 den 18-jährigen Robert S. auf einer Landstraße vor Lübeck ausgesetzt haben sollen. Dieser war anschließend auf der Straße sitzend von einem Auto überfahren worden und gestorben.

Zuvor hatte eine Zivilstreife Robert S. nachts in der Nähe der Diskothek, die er mit Freunden besucht hatte, angetroffen. Robert S. lag bewusstlos und ohne Jacke am Straßenrand, so dass die Polizisten einen Rettungswagen alarmierten. Vor dem Landgericht ging es gestern darum, den Zustand von Robert S. zu rekonstruieren. Die angeklagten Beamten beschrieben ihn als orientiert und lediglich angetrunken – die Anklage spricht dagegen von einem „hilflosen Zustand“. Die Obduktion ergab, dass er 1,99 Promille Alkohol im Blut hatte.

In der Nacht des 1. Dezember 2002 müssen sich die Rettungssanitäter und die Zivilstreife die Verantwortung für den Schüler gegenseitig zugeschoben haben. So geschah es gestern auch vor Gericht. Die Sanitäter sahen keinen medizinischen Grund, Robert S., in ein Krankenhaus zu bringen – zumal sich der junge Mann weigerte, mitgenommen zu werden. Die Polizisten wiederum sahen keine Veranlassung, ihn in Polizeigewahrsam zu nehmen.

Die Sanitäter versuchten den Jungen dazu zu bringen, eine Transport-Verweigerungsbescheinigung zu unterschreiben, was ihnen aber nicht gelang. Beide Seiten beharrten gestern darauf, das spätere Opfer in die Obhut des jeweils anderen gegeben zu haben. „Wir haben ihn praktisch in die Arme der Polizei fallen lassen“, sagte ein Sanitäter aus, während ein Beamter der Zivilstreife versicherte: „Eine Übergabe an uns hat nicht stattgefunden“.

Die übrigen Zeugen schilderten sehr unterschiedliche Eindrücke von Robert S. in jener Nacht. Freundinnen, die ihn nach dem Einsatz der Sanitäter auf seinem Handy erreichten, sagten, er habe „ganz normal“ geklungen. „Alles sei in Ordnung“, habe er gesagt.

Anders stellte es die Frau dar, auf deren Grundstück Robert S. wenig später eindrang. Zwar habe er normal gesprochen und lediglich im Stehen leicht geschwankt. Doch er habe so unbeirrbar behauptet, dass dies sein Haus sei, das sie jetzt leider verlassen müsste, dass sie annahm, er stünde unter Drogeneinfluss. Die herbeigerufenen Polizisten Hans Joachim G. und Alexander M. hätten den Zustand von Robert S. nicht wahrgenommen, sagte die Zeugin.

FRIEDERIKE GRÄFF