Das überholte Modell

Mit Trauschein hat eine Familie derzeit einen Vorteil gegenüber unverheirateten Paaren: Eine Mittelstandsfamilie mit einem gemeinsamen Einkommen von 40.000 Euro im Jahr muss nach dem Ehegattensplitting rund 6.000 Euro Lohn- bzw. Einkommensteuer plus Solidaritätszuschlag zahlen. Ohne Trauschein, wenn nur eine(r) das Geld verdient, müsste die Familie ca. 9.700 Euro an den Fiskus abführen. Das ist ein Unterschied von ca. 3.700 Euro im Jahr.

Beim Familiensplitting, das als mögliches Reformmodell diskutiert wird, würde das Haushaltseinkommen durch 2 und zusätzlich durch die Zahl der Kinder geteilt: Ein Einkommen von 40.000 Euro würde bei 2 Kindern also durch 4 geteilt: Viermal 10.000 Euro unterlägen dann einer relativ niedrigen Besteuerung. Das würde eine Steuerersparnis von ca. 4.300 Euro gegenüber dem Ehegattensplitting bedeuten, berechnete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. NJ

VON NICOLE JANZ

Kein Paar heiratet nur „wegen der Steuer“. Aber dass der Trauschein oft bares Geld bedeutet, wenn die Steuererklärung fällig ist, weiß jeder. Rund 27 Milliarden Euro jährlich kostet den Staat das Ehegattensplitting, das 1958 eingeführt wurde und Verheirateten Steuererleichterungen verschafft. Zu viel, wie eine aktuelle Analyse argumentiert. „Nach 50 Jahren muss Schluss sein“, sagt die Sozialwissenschaftlerin Christine Färber, die an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg lehrt.

Sie kommt in ihrer im August veröffentlichten Analyse für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung zu dem Schluss: Das Splitting zementiert die ökonomische Abhängigkeit der Ehefrau vom Partner und benachteiligt Alleinerziehende und nichtverheiratete Paare mit Kindern.

Es gab eine Zeit, da war das Ehegattensplitting für die große Mehrheit der Bevölkerung sinnvoll. In der Adenauer-Ära hatten Mann und Frau in der Ehe noch klar verteilte Rollen. Der Mann ging arbeiten, die Frau kümmerte sich um Kinder und Haushalt. Am Jahresende wurden beide steuerlich gemeinsam veranlagt: Die Einkommen wurden addiert, dann halbiert beziehungsweise „gesplittet“. Das Paar profitierte so vom deutschen System der Steuerprogression – je höher das Einkommen, desto höher der Steuersatz und umgekehrt. Weil die Frau oft sehr viel weniger verdiente als der Mann – oder eben gar nichts –, sank sein zu berechnendes Einkommen, ein niedriger Steuersatz kam zur Geltung. Auch die Grundfreibeträge und andere Abschläge konnten gemeinsam voll ausgeschöpft werden.

Noch heute rechnet der Fiskus so. Laut dem Arbeitsbericht „Zukunft für Familie“ des Bundesfamilienministeriums wurden 2007 rund 13 Millionen Ehepaare steuerlich gemeinsam veranlagt. Doch die Gesellschaft hat sich verändert: Frauen gehen arbeiten, unverheiratete Paare ziehen Kinder auf, genauso wie getrennt lebende Eltern.

Vor allem für erwerbstätige Ehefrauen ist das Splitting überholt. Der steuerliche Vorteil liegt bei null, wenn die Frau so viel verdient wie der Mann. Bleibt sie zu Hause und verdient der Ehemann gut, steigt die Steuerersparnis – die Einverdienerehe in höheren Einkommensschichten wird bevorteilt. „Oft lohnt es sich für das Haushaltseinkommen kaum, dass die Frau arbeiten geht“, sagt Färber. 61 Prozent der Gelder aus dem Ehegattensplitting gingen laut Studien an Einverdienerehen.

Teilzeitarbeit lohnt nicht

Viele Familien in Deutschland setzen auf diesen Steuervorteil, auch wenn die Ehefrau hoch qualifiziert ist. Etwa das Ehepaar Arno Stich*, 40, und seine Frau Monika, 38, aus Berlin. Ihre einjährige Tochter Tina wird von ihrer Mutter zu Hause betreut – obwohl diese mit ihrem Biologiediplom und einem Master of Business Administration gleich zwei gefragte Abschlüsse hat. Die Ehefrau fällt damit unter die begehrten qualifizierten Akademiker, die Unternehmen in Deutschland dringend suchen.

„Ich bin in dieser Phase eben hauptberuflich Hausfrau. Ich genieße die Zeit mit den Kindern“, erzählt sie. „Als ich noch arbeiten ging, war es eine große Hetze, Kind und Job unter einen Hut zu bringen.“ Der Nettobetrag auf dem Gehaltszettel sei oft frustrierend gewesen. Ihr Mann Arno Stich, der als Zoologe arbeitet, ergänzt: „Es lohnt sich einfach nicht, dass sie einen Teilzeitjob annimmt.“ Im Jahr 2007 sparte die Familie durch das Splitting über 2.000 Euro. Das ist gar nicht mal so viel – der Splittingvorteil kann je nach Gehalt des Alleinverdieners bei 8.000 Euro, bei Spitzenverdienern sogar bei über 15.000 Euro liegen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung berechnete.

Eine Familie, die von solchen Einsparungen nur träumen kann, ist das Ehepaar Bauer*. „Ich möchte nicht zu Hause bleiben, nur um bei der Steuer zu sparen. Das wäre mir zu langweilig“, sagt Sonja Bauer. Die 33-jährige Reiseverkehrsfrau aus Berlin, die schon im Ausland gearbeitet hat und mehrere Sprachen spricht, geht seit Ende 2007 wieder arbeiten, nachdem sie sich ein Jahr Auszeit für ihr Baby genommen hatte. Steuerlich lagen sie und ihr Ehemann vorher besser – als sie in Elternzeit war und ein geringeres Einkommen hatte. Genaue Zahlen nennt die Familie nicht, aber für sie ist klar: Beide wollen arbeiten, auch wenn das ein steuerlicher Nachteil ist. „Meine Frau geht in ihrem Beruf auf, sie ist kein Typ, der zu Hause bleibt“, meint Ehemann Marko Bauer, 39, der eine Musikschule leitet. Die Bauers wünschen sich dringend eine Reform, die sie steuerlich entlastet.

Beide Ehepaare haben ihre Entscheidung für sich und ihre Kinder getroffen, so wie sie sie für passend halten. Trotzdem zeigt sich, dass die steuerliche Förderung der Einverdienerehe ungerecht ist. Zum einen lässt sich so die Frauenerwerbsquote nicht steigern. Zum anderen gibt es mehr Einverdienerfamilien im Westen Deutschlands: Hierhin fließen über 90 Prozent des Splittingvolumens, weiß Christine Färber.

Besonders ungerecht findet die Wissenschaftlerin allerdings, dass eine wesentliche Gruppe von dem Steuervorteil von vornherein ausgeschlossen ist: Nichtverheiratete mit Kindern. „Ehegattensplitting ist keine Familienförderung“, schreibt Färber in ihrer Analyse. Es werde fälschlicherweise aber immer wieder als familienpolitisches Instrument gerechtfertigt. Tatsächlich gehen 60 Prozent des Splittingvolumens an Ehepaare mit Kindern, so der Arbeitsbericht des Familienministeriums, „Zukunft für Familie“. Die restlichen 40 Prozent erhalten Ehepaare, die kinderlos sind oder deren Kinder bereits außer Haus leben. An Eltern, die ihre Kinder ohne Trauschein aufziehen, fließt nicht ein Cent. Doch genau diese Gruppe macht mittlerweile ein Viertel aller Eltern-Kind-Gemeinschaften in Deutschland aus – mit steigender Tendenz.

Nimmt man nur die Zahl der nichtehelichen Partnerschaften, in denen Mann und Frau zusammenleben, zeigt sich laut Statistischem Bundesamt seit über zehn Jahren ein rapider Anstieg: zwischen 1996 und 2007 um ein Drittel. Heute leben 2,4 Millionen auf diese Weise in Deutschland, jedes dritte Paar hat mindestens ein minderjähriges Kind.

Auch Bundesministerin Ursula von der Leyen (CDU) weiß um deren Benachteiligung. „Das heutige Ehegattensplitting ist ein wichtiger Schutz der Ehe, stellt aber nicht die Frage nach Kindern. Tatsache ist, dass heute bald jedes dritte Kind in Deutschland außerhalb einer Ehe geboren wird“, sagte sie der taz. Sie will künftig die Erziehungsleistung der Eltern, auch außerhalb der Ehe, stärker berücksichtigen. Ein Staat, der anerkenne, dass alle Eltern nicht nur als Steuerzahler, sondern auch mit der Erziehung jedes einzelnen Kindes einen enormen Beitrag für die Gesellschaft leisten, müsse darüber nachdenken, diesen Menschen mehr vom selbst verdienten Einkommen zu lassen, sagte die Ministerin. Sie fordert eine „starke Kinderkomponente“ des „bewährten Ehegattensplittings“ als Erweiterung.

Andere Länder, andere Modelle

Eine der Lösungsmöglichkeiten, die im Gespräch sind, ist das das sogenannte Familiensplitting, wie es in Frankreich gilt: Das Einkommen wird durch die Anzahl der Eltern plus Kinder geteilt und dann der Besteuerung unterworfen.

Bei der CSU und beim sozialdemokratischen Koalitionspartner stoßen solche Ideen auf Ablehnung. „Es gibt keinerlei Grund, am Ehegattensplitting etwas zu ändern“, sagt Johannes Singhammer (CSU), familienpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Man würde Millionen von Rentnerinnen benachteiligen, deren Kinder nun aus dem Haus seien. „Für eine Familienförderung muss man sich etwas anderes einfallen lassen.“

Auch der Koalitionspartner SPD ist gegen das Familiensplitting. „Das ist mit uns nicht zu realisieren“, sagt Caren Marks, familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. In den Augen der SPD sei das Familiensplitting nicht sozial ausgewogen. Es würden nur gut verdienende Familien davon profitieren. Die Abschaffung des derzeitigen Ehegattensplittings würde Marks allerdings begrüßen, denn: „Es zementiert die Hausfrauenehe und benachteiligt eindeutig Frauen.“ Das verstoße gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz. Vorstellen könne sie sich ein Splitting, bei dem Ehepartner zwar gemeinsam veranlagt werden, aber das erzielte Einkommen nicht mehr gleichmäßig auf die Partner aufgeteilt wird. Nur noch ein begrenzter Betrag soll auf den Partner übertragbar sein. Dies müsse auch ohne Trauschein gelten, sagt Marks.

Auch die familienpolitischen Sprecher der Grünen und Linksfraktion im Bundestag halten das Ehegattensplitting für überholt. Ekin Deligöz (Grüne) fordert eine ähnliche Regelung wie die SPD, die für Verheiratete und Nichtverheiratete gelten soll. „Dieses Konzept trägt den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung, fördert aber Familien mit Kindern weit besser.“ Auch Jörn Wunderlich (Linke) setzt auf eine Reform in dieser Richtung. „Das derzeitige Modell geht an der Realität vorbei.“ Die FDP bewegt sich indes wenig. Während ihre Partei nicht für eine Veränderung ist, spricht sich die Familiensprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ina Lenke, persönlich für eine Reform aus.

Wenn es nach der Sozialwissenschaftlerin Christine Färber geht, sollte man eine Reform nicht in die nächste Legislaturperiode verschieben. „Die deutsche Wirtschaft kommt nicht in Schwung, weil die Erwerbsfähigkeit von Frauen verhindert wird. Und Kinder werden nicht gerecht gefördert, obwohl SPD und Union damit werben“, sagt sie. „Die Millionen Euro, die frei werden würden, könnten in Kinderbetreuung und Erwerbsförderung von Frauen gehen.“

* Namen von der Redaktion geändert