„Die Untätigkeit der Politik ist der Skandal“

Obwohl dem Bundestag die Probleme mit dubiosen Adresshändlern seit Jahren bekannt seien, geschehe nichts, kritisiert der Datenschutzexperte und Publizist Johann Bizer. Der heutige Datenschutzgipfel werde daran wenig ändern

JOHANN BIZER, 48, war bis Februar stellvertretender Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holsteins.

taz: Herr Bizer, heute lädt Innenminister Schäuble (CDU) zum Datenschutzgipfel nach Berlin. Endlich finden alle Datenschutz wichtig. Freuen Sie sich?

Johann Bizer: Nur begrenzt. Die Politik muss sich fragen lassen, warum sie sich erst jetzt um die Missstände beim Adress- und Datenhandel kümmert. Dass der Adresshandel in dubiosen Grauzonen agiert, ist doch schon seit Jahren bekannt.

Wer hat darauf hingewiesen?

Die Datenschutzbeauftragten. Jahr für Jahr stand das in ihren Tätigkeitsberichten. Die Politik hat das einfach ignoriert. Da musste sich erst ein Insider an die Öffentlichkeit wenden und auf illegal gehandelte Bankdaten in seinem Callcenter hinweisen, damit die Politik von einem Skandal spricht. Aus meiner Sicht ist der eigentliche Skandal, dass die Politik so lange untätig war.

Sie meinen auch die rot-grüne Bundesregierung, die bis 2005 amtierte?

Natürlich. Damals gab es mehrfach Beschlüsse des Bundestags, in denen die Regierung dazu aufgefordert wurde, das Bundesdatenschutzgesetz zu novellieren. Innenminister Otto Schily hat das ignoriert. Und die Abgeordneten haben die Kraft nicht aufgebracht, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen, wie sie es beim Informationsfreiheitsgesetz erfolgreich getan haben.

Wo ist der größte Reformbedarf beim Adresshandel?

Künftig sollten Daten nie ohne ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen weitergegeben werden dürfen. Die jetzigen Regeln sind ein Scheunentor.

Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) hat als letztes Mittel ein völliges Verbot des Datenhandels ins Spiel gebracht …

Die Forderung ist in ihrer Konsequenz richtig und hoffentlich nicht nur bayerischer Wahlkampf.

Was erwarten Sie vom Datenschutz-Gipfel?

Nicht viel. Wahrscheinlich wird am Ende nur appelliert, dass sich alle nun aber wirklich an die Gesetze halten sollen.

Warum nicht? Schließlich ist doch schon alles verboten, was die Bürger nervt: unerwünschte Werbeanrufe, fingierte Verträge, Bankabbuchungen ohne Einwilligung …

Das stimmt. Aber wie wir gesehen haben, sind bloße Verbote zu wenig. Man muss auch in der Lage sein, Verstöße aufzuklären und zu verfolgen. Die Datenschutzbehörden sind völlig unterbesetzt und brauchen dringend mehr Personal. In Schleswig-Holstein etwa sollen zwei Personen die gesamte Privatwirtschaft kontrollieren. Solange das so ist, sind alle Appelle, die Gesetze zu beachten, eher lächerlich.

Beim heutigen Spitzentreffen in Berlin beraten Politiker und Experten, wie sich der Datenschutz nach den jüngsten Skandalen verbessern lässt. Eine ganze Riege von Ministern nimmt daran teil: neben dem gastgebenden Innenminister Wolfgang Schäuble sind dies Justizministerin Brigitte Zypries (SPD), Wirtschaftsminister Michael Glos und Verbraucherminister Horst Seehofer (beide CSU). Eingeladen sind auch die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern. Die Verbesserungsvorschläge reichen von der Verankerung des Datenschutzes im Grundgesetz, wie es der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar verlangt, bis zu einem generellen Verbot des Datenhandels, wie Glos es fordert. Erst unmittelbar vor dem Gipfel bei Schäuble wollen sich die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern auf einen gemeinsamen Forderungskatalog verständigen. AP

Wie häufig passiert es, dass ohne Einwilligung Geld von einem Konto abgebucht wird? Justizministerin Zypries (SPD) spricht von Einzelfällen.

Früher waren das Einzelfälle. Aber nun entwickelt sich dies zu einem Massenphänomen.

Manche glauben, der jüngste Skandal verschafft dem Thema Datenschutz Aufwind. Sie auch?

Ja. Aber die Datenschutzbeauftragten müssen es auch nutzen. Der Datenschutz darf nicht nur beamtenmäßig verwaltet werden. Man muss bei Verstößen auch den Mumm für harte Durchgriffe haben, also Prüfungen vor Ort, Verbot der Datenverarbeitung und Verhängung von Bußgeldern.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH