Kairo, fast wie zu Hause

Wo der Antiexotismus sich selbst schlägt: Die Ausstellung „Cairoscape“ zeigt Arbeiten ägyptischer und anderer ausländischer Künstler, die Orientklischees mit globalisiertem Blick entgegentreten

VON TIMO FELDHAUS

Geht man im Spätsommer 2008 nach Kreuzberg, um eine Gruppenausstellung über Kairo anzuschauen, dann rechnet man ganz sicher nicht damit, dort bunte Keramik, pharaonische Schätze, Mumien oder Münzen vorzufinden. Diese Art Exotismus bleibt heute zumeist den Reiseveranstaltern überlassen.

Nein, begibt man sich dieser Tage in den Kuntsraum Kreuzberg/Bethanien, dann ist man zuerst einmal ein bisschen ängstlich, denn man fürchtet sich vor einem Namen wie „Cairoscape“. Ein schickes Anhängsel wie „scape“ macht sich einfach in jedem künstlerischen Projekt etwas zu gut und regt wegen der inflationären Häufung schnell den Verdacht, hier würde etwas wenig Überzeugendem der nötige poptheoretische Kitt verpasst: Kairo war gestern, heute ist Cairoscape. Zum Glück löst sich diese Angst beim Begehen der Ausstellung recht schnell auf, auch wenn ein leises Unbehagen bleibt.

Die Kuratorinnen Marina Sorbello und Antje Weitzel präsentieren im Haus Bethanien eine eindrucksvolle Ausstellung, die sich einiges vorgenommen hat. Der seminarhaft-ziselierte Untertitel „Images, Imagination and Imaginary of a contemporary Megacity“, gibt die Richtung vor. Man hat es zwar mit Kairo zu tun, doch das ist gar nicht mal so wesentlich.

„Kairo wird im Ausstellungskonzept zum Ausgangspunkt, um Möglichkeiten zu eröffnen, über die heutige Welt jenseits des Paradigmas Orient-Okzident zu sprechen“, sagt Weitzel, schiebt aber in ihrer kurzen Eröffnungsrede noch nach: „Die Ausstellung nimmt uns mit, unmittelbar ins heutige Kairo.“ Man wolle mentale Grenzen einreißen und gleichzeitig die lokale Kunstszene der größten Stadt der arabischen Welt vorstellen.

Aus den Perspektivspielen der Kuratoren ergibt sich, dass neben Arbeiten von ägyptischen Künstlern auch solche ins Konzept integriert wurden, die im Rahmen internationaler Residenzprogramme in Ägypten entstanden sind. Dabei reflektieren Hermann Huber und Susanne Kriemann das Ausstellungskonzept, wenn sie sich Mikrowelten annehmen, um ein Teilverständnis für die Makrowelt der Megalopolis zu wecken.

Kriemann, die auch schon bei der diesjährigen Berlin Biennale eine Recherchearbeit zeigte, hat sich der seit 50er-Jahren im Zentrum Kairos stehenden Statue Ramses II. angenommen. Während ihres zwei Monate dauernden Aufenthalts hielt sie sich vornehmlich in den Archiven der Stadt auf und zeigt nun auf mehreren Projektoren Bilder desselben Motivs aus verschiedenen Blickwinkeln in einem sich stetig verändernden Raum.

Unter der Auswahl der Kuratoren entsteht der Eindruck, in Kairo arbeite man ausschließlich mit der Kamera. Foto -und Filmarbeiten überwiegen, sie sind offensichtlich die richtigen Medien, um der wilden Megalopolis entgegenzutreten.

Dennoch ist in den Arbeiten vom Schock modernen Großstadtlebens wenig zu spüren. Eher als Reaktion auf eine Stadt, die Weitzel als „hektisch wie die Hölle“ beschreibt, lässt sich der Film von Christoph Oertli verstehen. Teilweise löst er Menschenmassen aus der Stadt, und es bleiben nur verlassene Orte, teilweise lässt er seine Protagonisten in Zeitlupe durch hochfrequentierte Stadträume driften. Das mag zwar nahe liegend sein, die Ästhetik ist allerdings aus Videoclipkultur und Kino hinreichend bekannt. Zu wenig zugespitzt wirken auch die im Raum verteilten Skulpturen von „einfachen“ Einwohnern Kairos, die das Leben im öffentlichen Raum wiedergeben sollen. Und der Berliner Künstler Gilles Aubry ist sicher nicht der erste, der die Klanglandschaft Kairos als ein unaufhörliches Gespräch empfindet.

Andererseits geraten so umso tollere Arbeiten in den Fokus wie die einnehmende und spektakuläre 42-minütige Videoarbeit von Hala Ekoussy oder die Fotografien von Iman Issa. Wo andere Arbeiten bemüht wirken und es nicht schaffen, dem reich besetzten Tableau der Stadtimagination neue Positionen hinzuzufügen, gelingt ihr zudem eine Videoarbeit, die durch ihre Einfachheit verblüfft. Beispielsweise zeigt sie eine verschwommene Sicht von oben auf Kairo bei Nacht. Plötzlich bewegt sich eines der vermeintlich weit entfernten Stadtlichter auf den Betrachter zu, aus dem Dunkel erkennt man plötzlich einen Menschen mit einer kleinen Taschenlampe den Berg hinaufklettern.

Wie die Kuratorinnen so gelungene Arbeiten in einer Stadt mit geschätzten 15 bis 25 Millionen Einwohnern gefunden haben, wird klarer, wenn Sorbello erklärt, dass die dortige Kunstszene recht klein sei und darauf hinweist, dass es nur drei unabhängige und zehn kommerzielle Galerien gibt, die sich jedoch besonders durch die ökonomische Wucht des Kunstmarktes der Vereinten Emirate im Wandel befinden.

Kairo, so die Hoffnung der Kuratorinnen, soll hier zum exemplarischen Betrachterstandpunkt werden, der unerwartete und doch vertraute Szenerien offenlegt. Diese bündeln sich im Video von Achmed Kahled. Dort ringt ein arbeitsloser Dreißigjähriger mit seiner männlichen Identität – und seiner Schlaflosigkeit. Die Arbeit betont die Besonderheiten Kairos, zeigt aber auch, wie wenig weit weg sie eigentlich von den okzidentalen Problemen und Befindlichkeiten ist.

Anhand der Ausstellung wird deutlich, dass Kairo über allerhand urbane Mythen und reale megastädtische Probleme verfügt und daher dieselben Städtebilder in sich birgt, die man sich sonst von den Metropolen der Welt macht. Dass sich diese Bilder auch von Kairo aus in eine internationale und also gerade nicht fremde, „orientalische“ Kunstsprache übersetzen lassen, ist interessant und traurig zugleich. Man tritt dann aus der Ausstellung wie ein globalisierter Tourist, der sagt: „Hat mir sehr gut gefallen, sieht aber doch fast genauso aus wie zu Hause.“

Kunstraum Kreuzberg, noch bis 12. Oktober. Tägl. 12–19 Uhr, Do. 12–22 Uhr