Die Tricks des Herrn Chin

Der kanadische Journalist und Wissenschaftler Declan Hill hat einem Paten der asiatischen Wettmafia über die Schulter geschaut. Die Erkenntnis: Es werden Fußballspiele sonder Zahl verschoben, auch in Europa und während Weltmeisterschaften

„Es gibt ein paar Wettbewerbe, wo hohes Ansehen und relative Bestechlichkeit zusammentreffen: die frühe Phase der Champions League, der Uefa-Cup und der Uefa-Intertoto-Cup. [Hier] sind Mutmaßungen über gefälschte Spiele weitverbreitet. […] Manche europäische Sportwettunternehmen haben bereits Wetten auf viele Spiele in den Vorrunden abgesetzt. Es gibt nur selten eine Woche, in der ein Spiel nicht von Buchmachern vom Markt genommen wird, da sie Angst vor verschobenen Partien haben. Ein hoher Vertreter einer europäischen Sportlotterie sagte mir, die Anzahl verdächtiger Spiele habe derart zugenommen, dass die Vereinigung der europäischen Lotteriegesellschaften daran gedacht habe, den Intertoto-Cup vollständig aufzugeben.“

Aus: „Sichere Siege“ von Declan Hill

AUS BERLIN KATRIN WEBER-KLÜVER

Niemand will, dass Radfahrer dopen oder Fußballer sich bestechen lassen. Und wenn sie es schon tun, will man es wenigstens nicht wissen. Über den Abgrund gestoßen wurde der Radsport zuletzt, weil nicht mal mehr die Sportler geschlossen leugnen wollten. Jetzt gerät ein anderer Sport in die Bredouille, einer, der global sowohl ökonomisch als auch als Volksunterhaltung weitaus relevanter ist: der Fußball. Ihn bedroht nicht Epo, sondern Bestechung.

Gerade hat Der Spiegel detailliert Hinweise auf die mögliche Manipulation des Bundesligaspiels Hannover 96 – Kaiserslautern im November 2005 durch asiatische Wettprofis präsentiert. Eine „sehr, sehr ernste Gefahr für den Sport“ sieht auch Declan Hill. Gestern präsentierte der kanadische Journalist und Wissenschaftler in Berlin sein Buch „Sichere Siege – Fußball und organisiertes Verbrechen oder wie Spiele manipuliert werden“. So lang der Titel, so smart ist Hill, wenn er seine Arbeit anpreist. Aber jenseits persönlicher Eitelkeit, die in diesem in Ichform geschriebenen Buch über jahrelange Recherchen und Abenteuer zwischen Accra und Singapur nicht zu kurz kommt, jenseits des Umstandes, dass er mit diesem in acht Ländern zeitgleich auf den Weltmarkt geworfenen Buch Geld verdient, ist Hill überzeugend, wenn er darlegt, welchen Manipulationsgefahren und -praktiken der Fußball ausgesetzt ist.

Und zwar vor allem durch asiatische Schieber, die nach Hills Einschätzung überall auf der Welt Spiele kaufen, um dann in Asien ihre Prognosen zu platzieren. Was deshalb ein besonderes Problem ist, weil dieser gigantische Wettmarkt selbst illegal ist. Mithin, sagt Hill, sei das Monitoring, das es hierzulande für den legalen Wettmarkt gibt, um merkwürdige Quoten unter die Lupe zu nehmen, zwar „ein guter Start – aber fast nutzlos“.

Erhellend ist Hills Versuch, zu dokumentieren, wie die Manipulationen funktionieren. Er umreißt in seinem Buch, wie der asiatische Wettmarkt organisiert ist, er beschreibt, wie Wettprofis auf Spieler und Schiedsrichter Einfluss nehmen, er widmet sich insbesondere einem Spiel: dem Achtelfinale zwischen Ghana und Brasilien bei der WM 2006. Ein asiatischer Wettprofi, dessen Identität Hill verschleiert, hat ihm Einblick gegeben. Warum? Hill weiß es nicht, er könne nur spekulieren, sagt er und spricht davon, dass der Mann mit dem Decknamen Lee Chin womöglich stolz auf seine Möglichkeiten sei. Vielleicht sei er auch beleidigt gewesen, weil Hill sich skeptisch gezeigt habe, dass sich Spieler bei einer WM würden kaufen lassen. Und also ließ Chin Hill zusehen, wie er versuchte, für eine Niederlage Ghanas zu sorgen. Nebenbei bekam Hill dabei mit, dass Chin auf das Spiel Hannover gegen Kaiserslautern setzte. Chin: „Hannover wird das Spiel mit mindestens zwei Toren Unterschied gewinnen. Sie werden sehen.“ Mehr, sagt Hill, könne er zu diesem Spiel nicht sagen. Es ist ihm wichtig klarzustellen, dass er weder behauptet noch belegen kann, dass dieses Spiel gekauft gewesen sei.

Womit ein grundsätzliches Problem berührt ist. Wenn Gewissheit nur dadurch hergestellt wird, dass Sportler ihre Manipulation eingestehen, könnte man über Hills Dokumentation ebenso hinweggehen wie über die Indiziensammlung im Spiegel. Denn weder gibt es einen involvierten Spieler des 1. FC Kaiserslautern noch einen des ghanaischen Teams, der zugegeben hätte, er habe sich fürs Verlieren bezahlen lassen. Und so wie Publikum, Funktionäre und Aktive im Radsport lange Zeit versucht haben, die Illusion des sauberen Sports hochzuhalten, tun sie das nun angesichts des Vorwurfs gekaufter Spiele beim Fußball auch. Oft mit dem Argument, dass die getippten Ergebnisse der genannten Spiele doch gar nicht überraschend waren. Aber das müssen sie ja auch gar nicht sein. Es ist schließlich weitaus einfacher, beim Außenseiter dafür zu sorgen, dass er auch wirklich verliert, als zu versuchen, einen Favoriten zur Niederlage zu bewegen. Der Aufwand ist überschaubarer, der Erfolg wahrscheinlicher, und das Beste: Es fällt überhaupt nicht auf.