Unbeirrte Liebe

Im September zeigt das Arsenal zehn Filme des ungeheuer produktiven japanischen Regisseurs Heinosuke Gosho. Erst sein 39. Film, der erste Tonfilm Japans, blieb erhalten

Murata ist Arzt und macht einen verhängnisvollen Fehler. Sein Sohn lebt in Tokio und macht seinem Vater was vor. Muratas Tochter verschmäht den ihr ausersehenen reichen Ehemann, weil sie einen anderen, Ärmeren liebt. Ein Freund, der Schriftsteller ist, kommt zu Besuch und ist gleich wieder weg. Dies sind nur ein paar der größeren und kleineren Dramen in Heinosuke Goshos 1933 entstandenem Film „Aibu“ (Zu deutsch: „Liebe“). Zur wahren Tragödie aber wächst sich keines der Dramen aus. Mit Tempo, Witz und schnellen Schnitten verfolgt Gosho jede einzelne seiner vielen Figuren auf dem Weg zur kein bisschen verlogenen Versöhnung mit sich und der Welt. Auch wer nur am Rande vorkommt, wird dabei mit freundlicher Aufmerksamkeit bedacht.

Die Liebe spielt eine Rolle in unterschiedlichsten Varianten im Film, dem sie den Titel gibt: die Liebe des Rikschafahrers zu seinem Herrn, die Liebe der Tochter zum Vater, die Liebe des Freundes zum Freund und die Liebe einer Frau auch zu einem Nichtsnutz. Was „Aibu“ aber so sympathisch macht und den Regisseur als humanen Beobachter des Allzumenschlichen ausweist, ist Heinosuke Goshos unbeirrte Liebe zu seinem Personal.

Außerhalb Japans kennt man den Regisseur, der von 1902 bis 1981 lebte und rund hundert Filme gedreht hat, heute kaum noch, obgleich er einst zu den ersten japanischen Regisseuren gehörte, deren Filme im Westen zu sehen waren. Seine Karriere begann 1925 in der Ära des Stummfilms und währte bis in die Siebzigerjahre. Leider sind nicht weniger als 38 seiner Stummfilme, wie ja überhaupt der größte Teil des japanischen Kinos der Zeit, für immer verloren. Erst Goshos 39. Film ist erhalten, nicht zuletzt handelt es sich um ein historisch bedeutsames Dokument. Es ist der erste vollständige Tonfilm der japanischen Kinogeschichte, die Komödie „Madamu to nyobo“, englischer Titel „The Neighbour’s Wife and Mine“, aus dem Jahr 1931. Allerdings kehrte Gosho auch nach diesem Durchbruch noch einmal zum stummen Kino zurück, unter anderem mit „Aibu“.

Gosho steht in seiner Generation nicht in einer Reihe mit Ozu, Mizoguchi, Shimizu und Naruse, aber er ist ganz fraglos ein sehr vielseitiger kleiner Meister. Er hatte sein Handwerk nicht zuletzt mit dem Blick auf Hollywood gelernt und verehrte Ernst Lubitschs gewitzt-elegante Montagen ganz besonders. Der „Goshoismus“ – davon war bald die Rede – ist kein sofort erkennbarer Stil, eher eine Haltung der Aufmerksamkeit und ästhetisch ein bewusster und gekonnter Eklektizismus, den der Gosho-Kenner Olaf Möller als gegen allen Fanatismus der Reinheit gerichtete „Poesie der Durchwirkung der Dinge“ bezeichnet hat.

Neben den „shomingeki“, also den Filmen aus dem Alltag der kleinen Leute, finden sich zahlreiche Literaturverfilmungen in Goshos Oeuvre. Man darf dahinter die Lust an der Aneignung eines Fremden und damit wiederum eine Lust an der „Durchwirkung“ unterschiedlicher Sensibilitäten vermuten. Seine im Jahr 1961 entstandene Verfilmung von Yasushi Inoues auch in Deutschland sehr erfolgreichem Roman „Das Jagdgewehr“ ist dabei ein interessanter Fall. Für seine Verhältnisse sehr kühl und zugleich melodramatisch ist dieses Cinemascope-Werk ausgefallen, aber im nachdrücklichen Verzicht auf die Verurteilung der Zentralfigur Saiko, die sich durch moralischen Rigorismus ihr eigenes Unglück bereitet, scheint dann doch wieder eine Menge Gosho zu stecken. Zur falschen Versöhnlichkeit neigte er nicht. Aber sein Blick ist gnädig noch da, wo er für seine Figuren keine Rettung mehr sieht. Zehn Filme lang bietet das Arsenal im September die Möglichkeit, das Werk Heinosuke Goshos zu entdecken. EKKEHARD KNÖRER

Filmreihe im Arsenal bis Ende September, Termine unter www.fdk-berlin.de