ein friedhof für totgeborene kinder
: Der Trauer einen Ort geben

Langsam rotieren die bunten Windrädchen, die trauernde Eltern auf der Mooswiese hinterlassen haben. Verwelkte Rosen erinnern an die Begräbnisse in dieser Ecke des Luisenkirchhofs in Charlottenburg. Zweimal im Jahr werden auf diesem Friedhof die tot- und fehlgeborenen Kinder des nahe gelegenen Krankenhauses Westend in einer Sammelurne beigesetzt. Von rund 600 Babys nahmen trauernde Eltern an diesem Ort schon Abschied. Doch viele Eltern empfanden das grüne Wiesenstück mit der stolzen Kiefer als zu anonym. Am Donnerstag wurde deswegen ein Gedenkstein aufgestellt aus rötlichem Sandstein; er soll die so genannte Luisenlichtung persönlicher machen. Die ersten Kuscheltiere lehnen schon daran. Kirchhofsverwalter Thomas Höhne streicht langsam über die weiche Oberfläche des Steins. „Den Eltern wird es guttun, wenn sie jetzt einen richtigen Ort zum Trauern haben“, sagt er mit gedämpfter Stimme.

Die Erinnerung an totgeborene Kinder ist für viele Eltern unglaublich schwer. Der Mutterpass und ein Ultraschallbild des Fötus sind die einzigen Dinge, worauf die Angehörigen ihre Trauer richten können. Die Klinik Westend ermöglicht deswegen seit sieben Jahren Eltern und Angehörigen zweimal im Jahr, auf dem nahen Luisenkirchhof von ihren totgeborenen Kindern mit einer Zeremonie Abschied zu nehmen. „Für die trauernden Eltern ist es wichtig, dass ein Ort der Erinnerung existiert“, betont Maja Rosemeyer, Psychologin der Klinik.

Die Bestattung der totgeborenen Föten wird in immer mehr Kliniken zur Regel. Rund 12 Prozent der Schwangerschaften scheiterten auf diese Weise, erklärt Heribert Kentenich, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe. Penibel genau schreibt das Bestattungsgesetz vor, wer von diesen sogenannten Stillgeburten zwingend begraben werden muss: Tot- und fehlgeborene Kinder mit einem Gewicht unter 1.000 Gramm fallen nicht unter die Bestattungspflicht. Psychologin Rosemeyer hält dies für falsch: „Die Trauer der Eltern um das verlorene Kind bemisst sich nicht an Größe und Gewicht.“ Auch schon im sechsten Schwangerschaftsmonat sei die Hoffnungen der Eltern groß.

Mit ihrer Trauer sind die meisten Eltern jedoch alleine. „Das soziale Umfeld ist zwar unmittelbar nach dem Verlust für die Eltern da“, berichtet die Psychologin. Doch in den meisten Fällen lasse die Gesprächsbereitschaft schon nach wenigen Wochen stark nach. Und noch vor wenigen Jahrzehnten war selbst unter Wissenschaftler Konsens, dass die Bindung erst mit der Geburt entstehe. Mittlerweile, so Rosemeyer, würden die Eltern jedoch stärker nachfragen, was mit den toten Föten passiere. Bis vor wenigen Jahren wurden sie in fast allen Kliniken schlicht entsorgt.

Heute steht die Klinik Westend mit ihrer organisierten Sammelbestattung nicht alleine da. Insgesamt zehn Bestattungsmöglichkeiten existieren derzeit in Berlin. Bei vielen Friedhöfen müssen die Angehörigen für die Beerdigung jedoch zahlen. Zudem ist die psychologische und seelsorgerische Betreuung der Eltern nach Angaben Rosemeyers viel zu selten der Fall.

Dass eine Betreuung, wie sie die Psychologin den trauernden Eltern bietet, jedoch dringend notwendig ist, machen schon die Wartezeiten für einen Platz in einer ambulanten psychologischen Einrichtung deutlich. „Oft müssen die Eltern drei bis vier Monate warten“, berichtet Rosemeyer. Explizit spricht sie die betroffenen Eltern als Vater und Mutter an, ermuntert sie, ihrem toten Kind einen Namen zu geben, und rät vor allem, sich Zeit zu lassen. Muten die Eltern sich zu schnell zu viel zu, sind oft schwere psychische Probleme die Folge. Rosemeyer warnt: „Verarbeiten die Eltern den Verlust nicht umfassend, kann dies die nächste Schwangerschaft beeinträchtigen.“ Immer wieder an einen Trauerort zurückzukehren, sei für die psychische Verarbeitung einer solchen Tragödie sehr hilfreich. Auch weil es den Betroffenen zeige: Es gibt einen Grund, traurig zu sein.

An diesem Nachmittag ist die Ruhe auf der Luisenlichtung vollkommen. Kirchhofsverwalter Höhne betrachtet andächtig die Farne und Maiglöckchen, die er in unmittelbarer Nähe des Gedenksteins gepflanzt hat. Einen angenehmen Ort zu schaffen, dass sei sein Anliegen gewesen, sagt er leise und legt noch einmal seine Hand auf den weichen Sandstein. HANNES VOLLMUTH