Wir sind der Schwarm

Verregnete Mathematik: Der Versuch, das Viertelfest wissenschaftlich aufzumöblen, gelingt trotz widriger Umstände. Ergebnis: BremerInnen sind annähernd so klug wie malaiische Glühwürmchen

Von Jana Wagner

Es ist ein perfekter Tag, um einem Hering nachzueifern: Die Wallwiese ist bereits klatschnass und immer noch regnet es in Strömen. Heringe schwimmen in Schwärmen, ohne sich aneinander zu stoßen, und irgend so etwas sollen wir heute auch machen. „Knick Knack“ heißt das mathematische Experiment, das mehrmals täglich im Rahmen des Viertelfestes stattfindet und „Schwarmintelligenz“ zum Thema hat. Von Schwarmintelligenz habe ich nie zuvor gehört, aber Experiment hört sich nett an und wer sonst über immer gleiche Fressbuden und Trinkstände nörgelt, sollte sich vom Regen nicht abhalten lassen, im Rahmen eines Straßenfestes der Wissenschaft zu dienen – denke ich mir.

Ich bin nicht allein mit dieser ehrbaren Einstellung: Um 18 Uhr, der festgesetzten Zeit, stehen außer mir noch sechs andere Gestalten mit Anorak und Regenschirm vor der Bühne. Ob das was wird mit den Massen? Die beiden weißbekittelten Herren, die das Ganze moderieren, lassen sich nicht beirren. Per Mikro scheuchen sie noch die letzten Unentschlossenen hinter den Bäumen hervor, die sich vor dem „Ja, Sie, genau Sie, kommen Sie her!“ in sicherer Trockenheit wägte. So stehen wir da, nun zirka 60, und halten kleine bunte Knackinsekten in den Händen. Einer der Herren in Weiß, Mateng Pollkläsener, bittet, die Schirme zu schließen, da wir von oben gefilmt würden und diese die Auswertung behinderten. Mir ist das egal, ich bin eh schon durchweicht.

Los geht’s, der erste Auftrag: „Knackt mit den Knackinsekten!“ Ich knacke, mal rhythmisch, mal irgendwie, und passe damit ganz gut in den Gesamtklang, der ziemlich durcheinander wirkt. Dann sollen wir „knacken, wenn der Nachbar knackt“. Schnell finde ich mich mit meinem zusammen, wir schaukeln uns gegenseitig hoch. Die 60 Knackinsekten musizieren nun wesentlich einheitlicher – ein sommerliches Zirpen surrt über die matschige Wallwiese.

So oder so ähnlich machten es malaiische Glühwürmchen, wird uns erzählt: Über Stunden blinken sie durcheinander, bis sie irgendwann im gesamten Wald zu einem einheitlichen Blinken gefunden hätten.

Genug Glühwürmchen gespielt. Jetzt werden wir, je nach Geschmack, zu Heringen oder Vögeln, die im Schwarm wie ein einziger Organismus wirken, der einem Willen folgt. Nah beim Nachbar sollen wir bleiben und uns dabei ununterbrochen fortbewegen, reden dürfen wir nicht. Ich folge dem Herrn mit der schwarzen Jacke rechts neben mir. Ich klebe an ihm und schalte das Gehirn aus. So führt er mich in geschlängelten Linien vor der Bühne umher. Immer dichter sind wir bei den anderen. Die meisten knacken immer noch gedankenversunken vor sich hin, auch wenn das nichts mit Heringen oder Vögeln zu tun hat.

Was soll’s, ich folge der schwarzen Jacke. Mittlerweile sind wir ein wohl halbwegs kreisförmiger Pulk mit sehr viel Körperkontakt, wir tippeln vor uns hin und das nicht etwa in immer gleichen Kreisen, sondern recht wild durcheinander und – wir trampeln uns dabei nicht auf die Füße.

Doch das soll noch nicht unsere Höchstleistung sein. Für den letzten Teil des Experiments bilden wir zwei entfernt stehende Gruppen und müssen auf Kommando senkrecht durcheinander durchrennen. Kurz überlege ich mir, ob Matschflecken auf der Hose den Spaß wert sind und ob nicht eine eher beobachtende Teilnahme am Experiment auch etwas für sich hätte. „Los!“, ruft Pollkläsener, und ich galoppiere dem Unglück entgegen. Nicht nur meine Hose übersteht die Durchkreuzung in allen vier Durchgängen – ich stoße auch kein einziges Mal mit jemandem zusammen. Um mich herum bemerke ich ebenfalls kaum Kollisionen – damit hätten wir noch besser gelegen als die Gruppe zuvor, wird uns später gesagt.

Die Auswertungen, wann wir besonders synchron geknackt haben, sehe ich mir später von einem Zelt aus im Trockenen an. Dann stürze ich mich in die Massen der übrigen Viertelfestbesucher und schwimme, schwarmgeübt, mit dem Strom in Richtung Zuhause.