KOMMENTAR DES TAGES
: Wir und Herr Wang

Darf man diesem Mann Recht geben? Wang Wei, der Generalsekretär des Pekinger Organisationskomitees (Bocog), hat die versammelte Presse kritisiert. Der Aufschrei der Angegriffenen ließ nicht lange auf sich warten. Wang ist sicher kein Unschuldsengel. Dass die Arbeit der Journalisten durch Eingriffe ins Web alles andere als frei ist, hat er zu verantworten. Auch als notorischer Verharmloser und Leugner von Menschenrechtsverletzungen in China hat er sich einen schlechten Namen gemacht in den letzten Wochen. So einem gibt man nicht gerne Recht. Die Journalisten seien voreingenommen China gegenüber, hat der Bocog-Mann gesagt. Ist das falsch, nur weil es einer wie Wang sagt?

Ein Mädchen, das gut singen kann, ist den Organisatoren zu hässlich, um es bei der Eröffnungsfeier singen zu lassen. Bilder des Feuerwerks sind vorproduziert. Eine Darstellerin stürzt bei einer Probe drei Meter in die Tiefe und verletzt sich. Schöne Skandale für die Presse. Skandale, die zum Beweis dienen sollen, dass in China ein menschenverachtendes Regime die Herrschaft über die olympische Bewegung übernommen hat. Nur wer hat die Skandale aufgedeckt? Es war nicht nur die gute Presse aus der freien Welt. Chinesische Medien waren maßgeblich beteiligt. In chinesischen Internetforen wurde heftig darüber diskutiert. Wie ist das möglich? In den letzten Jahren ist viel darüber berichtet worden, wie sich das Leben in China neu ordnet, wie ein neuer Bürgersinn entsteht. In den letzten Wochen ist bisweilen so über China berichtet worden, als hätte sich seit Jahren nichts getan.

Viele Sportreporter leben nun schon zwei Wochen in ihrer Scheinwelt zwischen Stadion, Medien-Shuttle und Pressezentrum. Da steht ein gepanzertes Fahrzeug vor dem Medienarbeitsraum. Sofort laufen die Tastaturen heiß. Welch eine Steilvorlage: Angriff auf die Pressefreiheit mit dem Schützenpanzer. Der Trainer des verletzten Hürdensprinters Liu Xiang sitzt weinend vor der Weltpresse. Von den verlogenen Tränen ist am nächsten Tag zu lesen und davon, dass es keine Tränen des Mitgefühls waren. War der Trainer wirklich sauer auf seinen Athleten, weil der Auftritt einer Propagandafigur nicht so geklappt hat, wie es sich das Regime vorgestellt hat?

Doch, Herr Wang, dieser schreckliche Herr Wang, er hat Recht. Es waren indes auch seine bizarren Auftritte, die viele Journalisten in ihren Vorurteilen bestätigt haben. Viel haben die Reporter nicht kennengelernt von China. Herrn Wang kennen sie nach zwei Wochen ganz gut. ANDREAS RÜTTENAUER