barbaren in beijing
: Pressesäle voller Fans

Die meisten Berichterstatter in Peking freuen sich über Medaillen ihrer Landsleute wie Kinder über ein Überraschungsei

Schade eigentlich, dass die Spiele am Sonntag vorbei sind. Das werden sie denken, all die Fans, die als Journalisten getarnt nach Peking gefahren sind. 5.600 Schreiber waren dabei. Der überwiegende Teil begeisterte sich für die Sportstars so sehr, dass sie zu Claqueuren wurden. Zu PR-Journalisten. Sie sind noch bis Sonntag im nationalen Auftrag unterwegs. Sie schreiben Heldenporträts, freuen sich über Goldmedaillen wie kleine Kinder über ein Überraschungsei. „Es ist ein Privileg, dass ich hier bin“, sagen sie.

Ein fleißiger Kollege hat jene gezählt, die Nationaltrikots tragen oder andere Insignien ihrer Olympiateams. Hier die Liste: Weißrussland, Russland, Litauen, Estland, Polen, Tschechien, Ungarn, Schweiz, Frankreich, Italien, Eritrea, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Angola, Äthiopien, China, USA. Die Liste ist unvollständig. Trikots von Kanada, Georgien, Deutschland und Australien wurden ebenso an kanadischen, georgischen, deutschen und australischen Journalisten gesehen. Es ist nur meiner Unaufmerksamkeit geschuldet, dass nicht noch mehr Nationen in der Kollektion auftauchen.

Eigentlich müssten Volunteers der internationalen Sportjournalistenvereinigung AIPS durch die Pressezentren gehen und den Fanschreibern ihre Akkreditierung entziehen. Bei Pressekonferenzen müssten die Klatscher sofort aus dem Saal entfernt und repatriiert werden. Aber dann hätten die Chinesen gar keine akkreditierten Journalisten mehr und die Russen wären auch arg dezimiert.

Den Schreihälsen auf den Pressetribünen gehört, mit Verlaub, endlich das Maul gestopft, all den national bewegten Schreibtouristen, die nicht trennen können zwischen Fantum und kritischer Berichterstattung. Vielleicht liegt’s daran, dass sie ihre Reiseerlaubnis zu den Spielen jeweils von den Nationalen Olympischen Komitees erhalten haben, also nicht von einer unabhängigen Institution – auch die Deutschen nicht. Letztlich hätte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) genauso freie Hand, missliebige Schreiber daheim zu lassen.

Es soll nicht selbstgerecht klingen, aber die meisten deutschen Journalisten – und natürlich auch die englischen und skandinavischen – unterscheiden sich doch ein wenig von der Jubelmasse. Wir sind mittlerweile im Pressezentrum verschrien als Defätisten und Dopingjäger. Das kommt nicht von ungefähr. Denn die Deutschen haben früh hinter die Mauer des Betrugs schauen können. 1989 öffnete sie sich. Ein Sportsystem kollabierte. In allen Details wurde das Plandoping der DDR sichtbar. Die bittere Erkenntnis: Spitzensport ist (meist) Spritzensport.

Jeder konnte sehen, wie „erfolgreicher“ Sport gemacht wird. Das hat die Szene der Sportjournalisten nachhaltig beeinflusst. Topleistungen werden kritisch beäugt. Die Skepsis ist freilich nicht zur Routine geworden, sie bekommt ständig neues Futter vom realen Geschehen des Sportbetrugs. Man kann die Realität natürlich ausblenden und den Sport als ein großes Fest der Jugend sehen. Das geht. Wir sehen es tagtäglich. Ja, für all die Claqueure lebt es noch, das olympische Motto: Dabei sein ist alles!

MARKUS VÖLKER