die gelben seiten
: Hocharbeiten, um hoch zu heiraten

Ein seltsames Rätsel: Erfolgreich auf dem Sportplatz werden vor allem die Kinder der Bettelarmen – warum ist das so?

Ursachenforschung betreibt man zumeist, wenn etwas Unerfreuliches passiert. Anders bei den gegenwärtigen Spielen: China führt immer noch die Goldmedaillentabelle mit deutlichem Abstand an. Selbst die anfänglichen Olympia-Verächter haben sich mittlerweile davon begeistern lassen. Im Forum bbs.cyol.com fragt sich einer: Warum dieser Erfolg? Seine Antwort klingt nicht neu: weil wir Chinesen fleißig sind.

Neu ist sein Blickwinkel: Erfolgreich auf dem Sportplatz werden vor allem die Kinder der Bettelarmen. So etwa die Gewichtheberin Tang Gonghong. Die Goldmedaillen-Gewinnerin stamme aus einer Familie, die nicht einmal umgerechnet 50 Euro zusammenkratzen konnte, um für sie die Gebühren der Sportschule zu bezahlen. Oder die Weltmeisterin in der Disziplin Schießen, Guo Wenjun, ein Mädchen, das angeblich noch während intensivstem Training für den Lebensunterhalt jobben musste. Das Fazit: Müssen wir Chinesen nicht darüber nachdenken, warum Kinder korrupter Kader und kometenhaft reich Gewordener zu derartigen Sportleistungen nicht fähig sind? Liegt es daran, dass Sport heute für viele armen Chinesen der einzige Weg ist, um noch aufzusteigen? Wenn dem so sei, was für eine erbärmliches Land wäre China doch noch immer!

Auf seine ein wenig verwinkelte Sichtweise mit dem Schlussseufzer antwortet kaum jemand. Dafür wird auf www.china.com hitzköpfig debattiert, wie viele chinesische Siegerinnen nach ihrem Titelgewinn Superreiche geheiratet hätten – und so dem Schicksal späterer Verarmung rechtzeitig entkommen sind. Von Gewichtheben über Schwimmen bis zu Turmspringen, alle Disziplinen sind vertreten. Die Ehemänner: Fußballstars, Spitzenpolitiker in Hongkong oder Hollywood-Gurus. Das Fazit lautet hier: Wer sich sportlich zum Erfolg hochgearbeitet hat, ist dazu verdammt, sich ebenso zum Erfolg zu verheiraten. Sonst? Sonst müsse MANN sich, wie der Hürdenläufer Liu Xiang zeigt, so viel Geld erlaufen, um Unwägbarkeiten im Leben ein für alle Mal abzusichern, mit einer Police. Ist nicht die Ehe ebenso eine Art Versicherung – nicht allein in China? SHI MING

Shi Ming, 51, kommt aus Peking und lebt als Journalist in Köln