Annäherung an die Perfektion

Die deutschen Hockeymänner stehen im Halbfinale, obwohl sie ohne ihre Stars der letzten Jahre auskommen mussten

PEKING taz ■ Wo Schwarzer draufstand, war nun Nowitzki drin. Deutschlands berühmtester Basketballspieler hatte sich das Trikot von Handball-Weltmeister Christian Schwarzer mit dessen Namen auf dem Rücken übergestreift, und gemeinsam zogen sie aus dem olympischen Dorf los, um Fans der Hockey-Nationalelf zu spielen. Die Verkleidung war Dirk Nowitzki aber nicht genug. Im Stadion verwandelte er sich in Beibei, den Fisch. Einem verdutztem Chinesen entwendete Nowitzki das Kostüm des Olympia-Maskottchens und zog es sich über den Kopf. So wollte Nowitzki auf den Hockeyrasen stürmen. Er unterließ es nur, weil er merkte, die Spieler nahmen schon Aufstellung.

Die deutschen Ballspieler sind in Peking ein großes Team geworden. Doch seit Dienstag gibt es zwei Klassen: Die Hockeyelf spielt, der Rest gibt den Fanklub. Nachdem Volleyballer, Handballer, Wasserballer und Basketballer in der Vorrunde scheiterten, machten sich die Hockeyelf am Dienstag mit einem feinen 3:1-Sieg über Neuseeland auf den Weg ins Halbfinale. „Am Montag saß die halbe Elf vor dem Fernseher“, erzählte Verteidiger Max Müller, „und wir zappten uns von der Niederlage der Basketballer zur Niederlage der Handballer. Jetzt müssen wir in die Bresche springen.“

Die Frage wird in solchen Momenten immer gerne gestellt, was die Hockeyspieler besser machen, schließlich ist ihr Erfolg konstant, sie gewannen die jüngsten zwei Weltmeisterschaften und bei Olympia 2004 Bronze. Bernhard Peters, der Trainer, der für alle jene Taten verantwortlich zeichnete, hat dann immer gerne über die hoch professionelle Arbeit unter Amateurbedingungen erzählt. Sein Nachfolger, Markus Weise, seit 2006 im Amt, rief erst einmal „Buh!“, als ihm eine Frage gestellt wurde. Es war nur einer seiner Scherze. Später sagte er, dass es keinen Anlass gebe, die Hockeyspieler besser als die anderen darzustellen. „Ballsport ist ja kein Kochen oder Malen nach Zahlen, auf einem ausgeglichenen Niveau wie bei Olympia kannst du immer verlieren.“

Triumphgeheul gehört nicht zum Programm des Mannheimer Trainers, der die Frauenelf 2004 zum überwältigenden Olympiasieg führte, und nun eine unscheinbarere, aber nicht viel leichtere Errungenschaft machte. Eine Elf, die seit dem schleichenden Abtritt der Generation Gold zwischen 2004 und 2006 über keine gefestigten, routinierten Weltklassespieler mehr verfügt, hat Weise mit der Halbfinalqualifikation in der absoluten Weltklasse platziert. Er hat dabei trotz der gesunkenen Spielerqualität nicht nur das taktisch enorm variable Spiel aus der Peters-Ära erhalten, er hat auch in etlichen Situationen das Auge eines besonderen Trainers bewiesen. Nirgendwo wird es ersichtlicher als in seiner einsamen Torwart-Entscheidung: Kölns Max Weinhold, in dem nur Weise Deutschlands Nummer eins sah, gewinnt in Peking Spiele.

„Es ging auf und ab in der Vorrunde“, sagte Verteidiger Müller, „aber letztendlich haben wir uns durch die Schwierigkeiten durchgemeißelt“, schloss Weise. Sie hatten von allem etwas, mal Disziplin, mal Lethargie, eine epische Abwehrschlacht, eine totale Offensive ohne Lohn; die ersten 20 Minuten gegen Neuseeland waren ihre Annäherung an die Perfektion. Es war atemberaubendes Kombinationshockey. Timo Wess, der sehr lebendige Matthias Witthaus und Florian Keller schossen die Tore. Unter den vier im Halbfinale sind sie der zu allem fähige Außenseiter. Dirk Nowitzki wird sicher auch wiederkommen. Er rüttelte und er zog, aber fast hätte er seinen Kopf nicht mehr aus dem Maskottchen-Kostüm herausbekommen. RONALD RENG